Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)
Sacra theologia
74 MARKUS ENDERS 2. Unbegreifbar keit Gottes und,negative Theologie‘ in der griechischen Metaphysik und in der jüdischen und christlichen Offenbarung Da die von der Einfachheit seines Wesens bedingte Transzendenz und Erhabenheit Gottes über das menschliche Erkenntnisvermögen sowohl von der griechischen Philosophie17 als auch von der jüdischen18 und der christlichen Offenbarung19 angenommen wurde (weshalb aus christlich-offenbarungstheologischer Sicht die Gotteserkenntnis der griechischen Philosophie einen, wenn auch eingeschränkten, Offenbarungscharakter besitzt), gehört die Annahme der Unbegreifbarkeit Gottes und damit der negativ-theologische Charakter der menschlichen Erkenntnis des göttlichen Wesens zum eisernen Bestand auch der christlichen Gotteslehre in ihrer geschichtlichen Entfaltung.20 Hiervon ist die affirmativ-theologische Gotteserkenntnis zu unterscheiden, die Gott die Qualität seiner Wirkweisen via eminentiae attribuiert. V. Die Entdeckung der zweifachen Normativität DES ,ONTOLOGISCHEN GOTTESBEGRIFFS‘ DURCH ANSELM VON CANTERBURY 1. ‘Ontologischer Gottesbeweis’ und ‘ontologischer Gottesbegriff Wir haben in unseren Ausführungen bisher einen Vemunftbegriff des Gottseins unbewiesen vorausgesetzt bzw. als gültig in Anspruch genommen, der Gott bzw. das Göttliche als Inbegriff Schlechthinniger, d. h. in jeder möglichen Hinsicht bestehender, Un- bzw. Nicht-Übertrefflichkeit annimmt, mit anderen Worten: Diesem Gottesbegriff zufolge ist Gott identisch mit der Totalität aller möglichen, d. h. widerspruchsfrei denkbaren, unübertrefflichen Eigenschaften. Dabei handelt es sich um den Gottesbegriff des seit Kant so genannten ontologischen Gottesbeweistyps, auf den wir daher im Folgenden näher eingehen müssen: 17 Zu Platon vgl. Phaidros 246c7-dl; Polit. 505a5 ff.; vgl. hierzu Krämer, H. J., Arete bei Platon und Aristoteles, 543, 555 Anm. 4; 558; ders. Der Ursprung der Geistmetaphysik, 394-403. Zu Plotin vgl. Enn. III 8; VI, 9; vgl. hierzu Halfwassen, J. Der Aufstieg zum Einen, 150-182. Proklos, Commentarium in Platonis Parmenidem, VII 58, 12; Theologia Platonis 13; 15, 22; 16, 4; 16,13; Fragment zum Kommentar von Porphyrius, Über Parmenides XII 23-25; 64-112, in Hadot, P., Porphyre et Victorinus, II §§ 3—93. Zu Proklos vgl. Beierwaltes, W., Proklos, 367ÍF.; ders. Denken des Einen, 179f.; 274ff. Hadot, P., Porphyre et Victorinus, I. 173-178. 18 Vgl. 1 Kön. 8, 12; Jes. 6, 1-2. 19 Vgl. 1 Tim 1,16.; Mt 11,25-27; Joh 10, 15; 14,7. 20 Vgl. Pseudo-Dionysios Areopagita, De coelesti hierarchia II 3 140 c-d; DNI, 588,Iff.; Meister Eckhart, Predigt Nr. 7, in DW I 122,6; Predigt 23, in DW I 402,1; Thomas von Aquin, Summa contra gentiles, I 14; dazu: Hochstaffl, J., Negative Theologie, insb. 8-155.