Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)

Sacra theologia

60 BORIS WANDRUSZKA besteht in dieser trinitarischen Seinsstruktur also auch eine zeitlose Ent­­springungsfolge, die wir von der christlichen Trinitätslehre her kennen. An einem einfachen Gegenstand wie z. B. an einem roten Tintenfleck lässt sich diese Seinsgrundstruktur und ihre überzeitliche Genese gut veranschau­lichen:-Das qualitative Moment findet sich in den singulären Farben, Gerüchen und anderen Sinnesqualitäten, ohne die der Gegenstand gar nicht gegeben wäre;- diesen Qualitäten entspringt das Zusammenhangswesen des Gegenstan­des, also seine Identität als Fleck, seine vielen, oft real allgemeinen Zu­sammenhänge mit dem Untergrund, mit dem Schreibutensiel, mit dem Schreibenden, dem Farbhersteller, was auch alles in das allgemeine We­sen des Tintenflecks, seine „Form“, eingehen kann;- und diesen beiden, den qualitativen Gehalten und den sachlogischen Zu­sammenhängen, entspringt als drittes und letztes Moment die Einheit der Gestaltungen des Fleckes, etwa seine zeiträumliche Ausdehnung, seine geometrische Figur und seine Zahlenbestimmtheit, ja überhaupt seine Einheit mit sich selbst. Während die Qualitäten als Dieses-da, als Tode-ti in ihrer Singularität nur di­rekt durch Erfahrung bzw. durch wahmehmende Nachsetzung erfasst werden können, müssen die Formen analytisch herausgehoben („analysiert und abs­trahiert“), gedacht und auf den Begriif gebracht und die quantitativen Gestal­tungen nachgestaltet, etwa nachgerechnet und konstruiert werden. Sowohl die Modi des Seins als auch die Modi ihrer Erfassung unterscheiden sich daher dreifältig und entsprechen stets einander, ganz im Sinne der Korrelation von Noema und Noesis, wie sie Edmund Husserl (1859 bis 1938) denkt, mit dem von Brandenstein manches teilt. VI. Gott - vormetaphysisch Betrachten wir jedes der drei Seinsmomente für sich und dringen in seine letz­te strukturelle Tiefe, stoßen wir auf einen Grund, der nur mehr sich selbst trägt und auf diese Weise ein letztes Sein offenbart oder doch darauf verweist. Es ist darum nicht verwunderlich, dass von Brandenstein schon in seinen drei vor­metaphysischen Wissenschaften eigentümliche Gotteserkenntnisse erzielt, ja ganz spezielle Gottesbeweise entwickelt, von denen die bisherige Tradition keine Kenntnis hat. Anhand der Kategorientafel der Seinsgrundbestimmun­gen, so wie sie von Brandenstein aufdeckt, lässt sich dies anschaulich zeigen: Unter den drei Uraspekten des Seins Gehalt - Form - Gestaltung, von Branden­

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