Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)
Sacra theologia
48 KRISZTIÁN VINCZE hier an Gefühle, an das Herz denken, denken wir nicht an jene unberechenbaren und schweifenden Affektionen, die in uns ganz spontan aufkommen und dann plötzlich ohne Nachwirkungen verschwinden. Schleiermacher und Pascal beschäftigen sich mit jenen Gefühlen, die uns tief durchdringen, die sich in uns so tief einprägen, dass sie unser ganzes Wesen bestimmen. Es geht also nicht um die uns launisch machende Affektionen, sondern um die unser Innere durchdringenden und umwandelnden Perzeptionen. Das in der Bibel oft gebrauchtes Wort Herz weist auf das Innere des Menschen hin, das das Zentrum, die Einzigartigkeit und das Persönlichste in dem Menschen abdeckt. Im Sinne der Philosophie von Pascal, und in dem biblischen Sinne wird das Herz jenes Organ, das Gott fühlt. Diese Erwägungen möchte ich mit dem Religionsphilosoph, Otto Rudolf, unterstützen, der sich auf einen spezifischen menschlichen Sinn, auf ein spezifisches menschliches Bewusstsein bezieht, das in der Erfahrung des Numinosen auftritt.9 Erfährt man das Heilige, erfährt man Gott. Erfährt man das Heilige, erfährt man etwas von Gott, das uns eindeutig emotionell ergreift. Die Erfahrung des Heiligen, die Erfahrung des Numinosen, kann mit dem Kreatorgefühl zusammenfallen, in dem der Mensch seine radikale Abhängigkeit nachvollzieht. Die Erfahrung des Numinosen kann auch mit jener Furcht (tremendum) zusammenfallen, die eigentlich die Perzeption der Heiligkeit Gottes und zugleich die der menschlichen Unwürdigkeit ist. Als Mose - laut dem Buch Exodus - den Dornbusch sah, der brannte, aber nicht verzehrte, versuchte sich zum Dornbusch zu nähern. Dann aber Gott sagte ihm: „Komm nicht näher heran! Leg deine Schuhe ab, denn der Ort, wo du stehst, ist heiliger Boden.“ Darauf „verhüllte Mose sein Gesicht, denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen“. (Ex 3,5-6) Wenn man aus dem Profanen, aus der Welt des Alltags in den Raum des Heiligen tritt, erschrickt sich der Mensch vor der göttlichen Realität, und dieses Gefühlt, diese Erschrockenheit, ist als tremendum identifiziert. Das tremendum ist der Gottesfurcht. Über das tremendum hinaus ist aber auch die unwiderstehliche Anziehungskraft gegenwärtig, die den Menschen als jene Kraft mitreißt, die zur Erfüllung und zur Beendigung des menschlichen Seins stosst. In der Erfahrung des Numinosen erfährt man also jene Anziehungskraft, jenes fascinans, die dem Menschen den für ihn erreichbaren Glückseligkeit verspricht. Tremendum et fascinans bedeuten also, dass man sich vor der Heiligkeit Gottes fürchtet und zugleich fühlt er sich unwiderstehlich hingezogen zu Gott. Schließlich ist die Erfahrung des Numinosen die Erfahrung des Ganz-Anderen. Dies Ganz-Andere ist der Grund dafür, dass die Heiligen sich in der Erzählung ihrer mystischen Erfahrungen beschweren, dass die menschlichen Worte unfähig sind, das wiederzugeben, das sie erlebt, 9 Vgl. Otto, R., Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München 1991.