Folia Theologica et Canonica 11. 33/25 (2022)
Sacra theologia
DIE GOTTESFRAGE ALS EXISTENTIELLE FRAGE... 49 das sie erfahren haben. Der Ausdruck Ganz-Andere weist daraufhin, dass die Gotteserfahrungen nicht wie die gewöhnlichen weltlichen Erfahrungen sind. Der den Gott suchenden Menschen und das auf Gott antreffende menschliche Herz können von jenem tremendum, von jenem fascinans, von jenem Ganz- Anderen ergriffen und betroffen werden, die den Menschen in seiner Gänze, in seinem ganzen Wesen bestimmen. Oft haben Bekehrenden, Gottsuchenden durch mystische Erlebnisse auf Gott gefunden. Es ist sehr schwierig (auch für die ganze Fachliteratur), das mystische Erlebnis zu definieren, aber als solches ist es in jedem Fall erschütternd, das ganze Wesen des Menschen anrührt. Solche Erlebnisse vermögen das Subjekt für sein ganzes Leben zu bestimmen, sie sind für diese Personen überzeugender als irgendwelche rationale Argumente, die die christliche Philosophie bietet. Solche Erlebnisse sind fähig, auch die früher eingefleischten und entschlossene Atheisten zu verändern. Ein solches Beispiel ist die Geschichte des französischen Journalisten, Andre Frossard (1915-1995), der später auch geistlicher Freund von dem Papst, Johannes Paulus II, geworden ist. Der seine Geschichte gut kennt, weiß, dass Frossard in einer kleinen Kapelle, in der Nonnen die ausgelegte heilige Hostie anbeteten, ein besonderes Erlebnis hatte, das ihn für sein ganzes Lebens prägte. Der entschlossene Atheist, der als junger Mann die metaphysischen Fragen als Zeitverbaselung betrachtete, nach seinem Erlebnis seine ganze Arbeiterschaft der gedanklichen Entfaltung und der Darstellung des Christentums, des christlichen Glaubens widmete. Auch der französische Schriftsteller und Poet, Paul Claudel (1868— 1955) schreibt darüber, dass er „von oben her“ „von etwas berührt“ wurde, und „danach glühte das Feuer Christi in ihm“ ununterbrochen. Als letzte Person rufe ich noch in Erinnerung Francois Mauriac 1885-1970), der sagt, ein einziges Treffen mit Jesus, hat „mein ganzes Leben bestimmt“.10 Diese Menschen haben Erlebnisse erlebt, die auf sie so starke emotionelle Wirkung ausübten, dass sie auf einmal aus Atheisten zu gläubig wurden. Sie sind Subjekte von Erlebnissen, in denen das Kreaturgefühl, die Heiligkeit Gottes und das tremendum und zugleich das fascinans inbegriffen waren. Schließlich muss man merken, diese Erlebnisse gelten für das ganze Leben ihrer Subjekte. Holger Zaborowski behauptet, auch die religiös indifferenten Menschen mögen Erfahrungen über das Heilige haben, auch inmitten der „säkularisierten und entzauberten“ geistlichen Atmosphäre. Laut der Interpretation der katholischen Tradition sind solche Erlebnisse Gottes besondere Gnade, die auch heute zu wirken vermag. Gott kann den Gottesglauben in dem Menschen nicht nur in der menschlichen Vernunft, sondern auch in der menschlichen Affekti10 Über die Bekehrungsgeschichte von Mauriac, Claudel und Frossard schreibt der ungarische Jesuit: Szabó, F., Istenkeresők és megtérők. A XX. század konvertitái, Budapest 2014.