Folia Theologica et Canonica 7. 29/21 (2018)

Sacra theologia

106 HERMANN STINGLHAMMER und ihrem Nicht-zu-sich-selber-finden nun ein Können und Dürfen im Raum der Gnade, die im Horizont der biblischen Offenbarung die Einladung bedeu­tet, am Leben der göttlichen Freiheit zu partizipieren. Irenäus von Lyon sagt es so: „Die Ehre Gottes ist der lebendige, der freie Mensch, das Leben des Men­schen die Gottesschau.“8 Was besagt nun dieses „Gesetz der Freiheit“, wie Balthasar es nennt, für den Selbstvollzug der endlichen Freiheit? Vor allem anderen dies: Je mehr die endliche Freiheit Gott selbst als Grund und Ziel ihrer eigenen Freiheit wählt, so freier wird sie. Abstrakt formuliert bedeutet dies zunächst, dass Autonomie und Theonomie im selben Verhältnis wachsen: Je mehr die endliche Freiheit bei Gott ist, desto mehr ist sie bei sich selbst. Damit lässt sich die Seinsanalogie im Verhältnis zwischen Geschöpf und Gott näher­­hin begreifen als eine Analogie der Freiheit, als Analogia libertatis. Dies aber bedeutet zugleich: Gott ist nicht der Konkurrent der menschlich autonomen Freiheit - dies ist ja die Angst der Moderne bis hinein in die Gegenwart. Gott ist vielmehr ihr sie freisetzender Grund und ihr erfüllendes Ziel. Und er ist auch ihr Weg dorthin. Die christologischen und trinitarischen Reflexionen Balthasars, auf die wir uns gedanklich zubewegen, werden dies verdeutlichen. In seiner bis jetzt beschriebenen schöpfungstheologischen Grundlegung will Balthasar vor allem zeigen, dass die christliche Synthese von endlicher und unendlicher Frei­heit jenseits der modernen Alternative „menschliche Autonomie oder Gott" liegt, sofern autonome endliche Freiheit nicht anders denn zusammen mit un­endlicher Freiheit gedacht werden kann. Alles andere würde sie in einen Seins­widerspruch hineinführen, was gerade auch die Tragik der modernen Freiheits­gestalt zeigt, die sich letztlich wiederum der antiken angenähert hat. Die entsprechende Haltung gegenüber der Freiheit Gottes liegt in der Sicht des Al­ten Testamentes in ihrem Entscheid zum „Bund mit Gott“, d.h. konkret in der Haltung des Ge-horsams, des Hörens auf Gott (vgl. Schema Israel), indem sich der Mensch in Raum und Zeit auf den geschichtlich je neu ergehenden Willen des je-größeren Gottes öffnet und sich so bestimmt, seinen Willen zum eigenen Willen zu machen. Diese Struktur wird auch die christologische Gestalt der Freiheit bestimmen, wie sie im Sendungsraum Jesu Christi greifbar wird. In ihr öffnet sich die formale Freiheitsbestimmung hinein in die Konkretheit des Ver­hältnisses von geschöpflicher Freiheit und trinitarischer Freiheit und zwar im geschichtlichen Raum der menschlichen Sünde. 8 Irenäus, Adversus haereses, IV. 20,7. Vgl. dazu Irenäus: Gott in Fleisch und Blut. Ein Durch­blick in Texten, ausgewählt und übertragen von Hans Urs von Balthasar, Einsiedeln 1981.

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