Folia Theologica et Canonica 7. 29/21 (2018)

Sacra theologia

102 HERMANN STINGLHAMMER II. Das freiheits-theologische Profil der Theodramatik 1. Balthasars grundlegende freiheitstheologische These: Eine einzelne Freiheit gibt es nicht Wie kommt Balthasar zu seinem freiheitstheologischen Ansatz? Es ist die schlichte Erfahrung des Menschseins, dass jene einzelne Freiheit sich immer schon vorfindet im Raum anderer Freiheit. Dies bedeutet ontologisch, dass es eine einzelne Freiheit überhaupt nicht gibt und eine einzelne Freiheit im Sinne eines absoluten Aus-sich-selbst-heraus-Beginnens und Existierens ein Selbst­widerspruch ist. Warum? Jede einzelne Freiheit ist immer schon eingewiesen in den Raum anderer Freiheit, aus dem sie stammt, von dem her sie erst zu sich selbst kommt, - scholastisch gesprochen: aus der Potenz in den Akt ihrer Frei­heit findet. „Erst am Du wird das Ich zum Ich“, formuliert Balthasar daher mit der Tradition des philosophischen Personalismus, an den er sich in seinem theologischen Freiheitsdenken anschließt. Um dies zu konkretisieren, verweist Balthasar auf die existentiale Grundsituation des Neugeborenen, das erst durch die Mutter - und sie steht hier primär für den Raum der übrigen Freiheiten - zu seinem Ichsein erweckt wird. Mit anderen Worten: Die Stelle, wo Freiheit zu sich selbst hineinfindet und zu sich selbst ermächtigt wird, ist der Du-Raum des Anderen. Damit ist nach Balthasar das Paradox des Menschseins freigelegt, wonach seine Freiheit, die mit seiner Selbstidentität konvergiert, sich nicht aus dem eigenen Sein auferbaut, sondern in die Transzendenz auf das Du hin einge­wiesen ist. Es wird zum Ich erweckt und begabt durch die Mutter, die Eltern, den Freund, den Lehrer, das Volk, den Mann, die Frau usw. Ontologisch heißt dies, dass die Freiheit der anderen der stellvertretende Raum für meine eigene Freiheit ist, in dem diese erst zu sich selbst freigesetzt wird. Diese wird durch die anderen also gerade nicht fremdbestimmt und heteronomisiert, sondern zu sich selbst eröffnet. Dies ist aber nur dann möglich, wenn andere Freiheit sich mir selbst in Freiheit schenkt. Denn Freiheit kann nur frei gewährt werden. Da­mit ergibt sich für das Spiel der dialogischen Freiheiten die Praxis wechselsei­tiger Liebe, in der sie sich gegenseitig miteinander beschenken. Die Freiheit des anderen ist so stellvertretend für meine eigene Freiheit. Sie ist der Ort. an dem ich zu mir selbst beschenkt werde. (Dies wird innerhalb der Gotteslehre und der Erlösungslehre Balthasars von Bedeutung sein.) Dieser Raum der an­deren Freiheit öffnet sich mir aber nicht, wenn und insofern ich ihn mir ein­verleibe und einordne, sondern dort, wo ich mich der anderen Freiheit öffne, sie sein lasse, sodass sie sich in ihrer eigenen Freiheit mir gewähren und schenken kann. Vor dem Hintergrund dieses Verständnisses erklärt sich sofort, warum Balthasar sich von jener Sicht einer autonomen Egozentrik absetzt, die er in der Tradition des nachkantischen Idealismus in der Spur vön Fichte und Hegel bis

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