Folia Theologica et Canonica 6. 28/20 (2017)

IUS CANONICUM - Stephan Haering OSE, Joseph Hollweck und sein Werk „Die kirchlichen Strafgesetze“ anmerkungen anlässlich der anstehenden Reform des kirchlichen Strafrechts

224 STEPHAN HAERING OSB Wohls werden freilich weniger die individuellen Voraussetzungen des einzel­nen Täters und die Umstände des konkreten Falles für die Beurteilung maßgeb­lich, sondern durchaus auch der Straftat als solcher femliegende oder gar frem­de Gesichtspunkte, etwa die allgemeine Stellung und Einschätzung der Kirche in der Öffentlichkeit. Die Gefahr von Willkür in der Strafzumessung und einer möglicherweise ungerechten Umsetzung der Rechtsordnung ist hier nicht völ­lig von der Hand zu weisen. An einer anderen Stelle seiner Einleitung kam Hollweck dann auch aus­drücklich auf die Frage der Strafzumessung zu sprechen. Dort führte er aus: „Was sodann die Strafbemessung anlangt, so ist auch hier ein freier Spielraum belassen. Das kirchliche Strafrecht stellt ein reiches Strafensystem (...), aus dem geschöpft werden kann zur Verfügung, es gestattet aber auch eine An­wendung anderer entsprechender Strafen. (...) Die im gemeinen Recht aus­gesprochenen Strafen, sofeme sie nicht latae sententiae sind, können vermehrt, verschärft oder gemildert werden. Insbesondere letzteres wird dem kirchli­chen Richter von der Doktrin allgemein zugestanden. Selten ist im Gesetz nach unten ein bestimmtes Strafmaß festgesetzt, häufig freilich nach oben, insofern über eine gewisse Strafhöhe nicht hinausgegangen werden darf.“76 Hollweck spricht hier dem kirchlichen Richter ein breites Ermessen in der Straffestsetzung zu. Dieser große richterliche Ermessensspielraum hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass im kirchlichen Strafrecht vielfach die Straftaten zwar als solche tatbestandlich umschrieben sind, die Sanktion für einzelne Straftaten jedoch unbestimmt bleibt. Richterliche Strafexzesse versucht das kirchliche Strafrecht freilich immer wieder durch die Nennung von Höchststra­fen zu vermeiden. Vielmehr hat der kirchliche Richter bei der Strafverhängung angemessene Milde walten zu lassen. Dies steht einem kirchlichen Richter, der ja in gewisser Weise auch ein Sachwalter christlicher Barmherzigkeit sein soll, prinzipiell auch gut an. In der Regel dienen milde Urteile auch dem öffentli­chen Wohl der Kirche, denn sie lassen diese als einen Ort der Barmherzigkeit aufscheinen. Das öffentliche Wohl der Kirche soll ja, gemäß Hollwecks zuvor zitierten Äußerungen, der erstrangige Maßstab für die Entscheidungen des kirch­lichen Richters sein, und dieser Maßstab kann im Einzelfall sogar dazu führen, dass selbst der überführte Delinquent straffrei bleibt. Mit diesen Einschätzungen bewegt sich Hollweck, soweit zu sehen, im Gro­ßen und Ganzen im Rahmen dessen, was die zeitgenössischen Fachautoren zu Strafverschärfung bzw. Strafmilderung durch den kirchlichen Richter vertreten haben. Dass diese Überlegungen auch von Hollweck aufgegriffen werden, ins­76 Holl weck, J., Die kirchlichen Strafgesetze (wie Anm. 7), XXXVII.

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