Folia Theologica et Canonica 4. 26/18 (2015)

SACRA THEOLOGIA - Zoltán Rokay, „Philosophische" Anthropologie

„PHILOSOPHISCHE” ANTHROPOLOGIE 77 II. Die Gegenwart der philosophischen Anthropologie 1. Sie lässt sich schwer bestimmen, weil gerade durch die verschiedene Aus­legungen und Richtungen, welche die Denkströmungen des XX. Jahrhunderts mitgebracht haben, ermöglichen nicht einmal ihre annähernde Bestimmung. Man hält gewöhnlich den Strukturalismus für die bestimmende Strömung der Philosophie des ausgehenden XX. Jahrhunderts.29 Aber dessen grösste Vor­kämpfer Lévi-Strauss würde leugnen, dass er ein „Strukturálist” ist. Er würde sagen, er sei ein Sozioanthropologe. - Allerdings wird man gewöhnlich als ge­meinsames Merkmal des „Strukturalismus” ansehen: die Strukturen sind ge­geben und bleibend; der Einzelne ist daher zu verstehen, er ist austauschbar. Allerdings leugnet der Strukturalismus auch die Evolution. 2. Neben dem Strukturalismus ist die Systemtheorie zu nennen, dessen Hauptvertreter Niklas Luhman war.30 Nach seinem Standpunkt existiert alles im System, und im Verhältnis zum System, welches autopoiätisch ist. d.h. sich selbst hervorbringt. 3. Die Diskustheorie kritisiert jedes System und dessen Anerkennung als konservativ, unkritisch und „systemstabilisierend”. Im Gegensatz zu ihr, lässt sich der Mensch von dem gesellschaftlichen Diskurs her verstehen (vgl. etwa Habermas).31 Wenn der Mensch austauschbar geworden ist, bedeutet das nicht dessen Tod nach dem, durch Nietzsche proklamierten Tod Gottes? Anscheinend bedeuten die erwähnten Richtungen neue Herausforderungen für die philoso­phische Anthropologie. Die Reaktionen auf „Strukturalismus” kamen vor allem aus dem Bereich der Psychoanalyse, der Philosophie der Gesellschaft und dem Marxismus (Lacan, Foucault und Althusser).32 Die Theologie (sich auf annehm­bare Erkenntnisse stützend) kann behaupten, es ist doch der Mensch derjenige, der die Strukturen entdeckt, das System erkennt und auf dem Diskurs teil­nimmt. 4. Auch schon der Poststrukturalismus hat seine Kritik erfahren, durch die Dekonstruktionstheorie von J. Derrida,33 sowie durch drei Denker, welche sich über den Apostel Paulus geäussert haben: Alain Badiou, Paulus, Die Begrün­29 Schiwy, G., Der französische Strukturalismus, Rowohlt, Reinbek 1971. de Saussure, F., Grundfragen der allgemeinen Sprachwissenschaft, Leipzig 1931. 30 Karácsony, A., Systemtheorie und Phänomenologie (Annales Universitatis Scientiarum Buda- pestiensis de Rolando Eötvös Nominatae Sectio Iuridica XLV), Budapest 2004. 122. 31 Habermas, J., Erkenntnis und Interesse, Frankfurt Suhrkamp 1968. Ders. Theorie des kommu­nikativen Handelns, Frankfurt Suhrkamp 1992. Habermas, J. - Ratzinger, J., Dialektik der Sä­kularisierung. Über Vernunft und Religion, Freiburg-Basel-Wien 2005. 32 Schiwy, G., Poststrukturalismus und „Neue Philosophen", Reinbek 1985. Belsey, C., Post- structuralism, Oxford 2002. 33 Derrida, J., in The Postmodern God, Victoria, Australia 20041.

Next

/
Thumbnails
Contents