Folia Theologica et Canonica 4. 26/18 (2015)

SACRA THEOLOGIA - Krisztián Vincze, Die Realität und die würde des Leidens in der Philosophie von Simone Weil

106 KRISZTIÁN VINCZE seren Geist und durch unsere soziale Persönlichkeit wirklich werden. Unser Leib ist „zerbrechlich, jegliches sich bewegende Materiestück kann ihn durch­reißen, zerfetzen, zerkrümeln, oder kann seine inneren Bestandteile verderben. Unsere Seele ist auch verletzlich, ist Depressionen ausgesetzt, erbärmlich hängt sie von allerlei Dingen und Menschen ab, die selbst zerbrechlich und launisch sind. Unsere soziale Persönlichkeit, von der die Empfindung unsere Existenz abhängt, ist fortgesetzt und in Großem und Ganzen den Zufällen aus­gesetzt.“12 Der leidende Mensch ist durch ständige Müdigkeit, Schmerz, unter­schiedliche Angststörungen, Ängste, durch die Empfindung der absoluten Hö­rigkeit charakterisiert. Diese erzeugen das Gefühl herbei, „Recht habe ich zu nichts, gegen nichts und gegen keinen, ich zähle nichts, mein Wert ist gleich mit dem Null.“13 In dem endgültigen durch die Leiden verursachten Zustand der Müdigkeit erfährt man, dass „man seine Handlungen nicht mehr zu beherr­schen fähig ist, noch nicht mal seinen eigenen Willen beherrschen kann. Man nimmt sich als pures Ding wahr, das gegen andere Dinge anstemmt, so ist man Opfer von unterschiedlichen Zwängen“14. Das im-Leib-Sein des Menschen ge­biert oft das Gefühl der Trägheit.15 Die französische Philosophin führt eine neue Kategorie für diejenigen ein, die die tiefsten Schichten des Leidens erfahren, die extremes Leid erleben: der Leidende ist der Unglückliche, sein Leiden ist das Unglück. Das Unglück bedeutet ein radikales Herausreißen aus dem Leben, mehr oder weniger ist es dem Tod gleichwertig, und dies wird für den Geist durch die physischen Schmerzen gegenwärtig. Diese Schmerzen sind aber auch synchron mit inneren Schmerzen, wie z.B. mit dem Gewissensbiss, mit dem Gefühl des Überflüssigseins und mit der Bange. Das Unglück zieht nach sich, dass das Unglückliche aus der Gesellschaft herausgerissen wird. Zu den Un­glücklichen zählen die Bettler, die Prostituierten, die Gefangenen, die ständig Zielpunkte gesellschaftlicher Verachtung und Missachtung sind. Der Unglück­liche ist auch davon kennzeichnet, dass er sich selbst zu hassen anfängt, er ist fähig Mittäter des eigenen Unglücks zu werden. Schließlich kann er in sich den Wunsch ausrotten, sich aus dem unglücklichen Zustand jemals retten zu kön­nen.16 Das Unglück zehrt die Persönlichkeit auf! Wenn man einem Unglückli­chen gegenübersteht, hat man das Gefühl, dass man nicht einem Menschen, sondern dem Unglück selbst gegenübersteht.17 Der Unglückliche ist sozusagen durchsichtig und unverständlich, er hat kein passendes Wort mehr, um aus­12 Weil, S., Szerencsétlenség és istenszeretet (Das Unglück und die Gottesliebe) [trans. Bende, J.l, in Vigilia 9 (1998) 678-688, 677. 13 Vető, IVI., Simone Weil, 42 (Er zitiert: Weil, S., La Condition Ouvrier, 106). 14 Vető, NI, Simone Weil, 44-45 (Weil, S., Intuitions Pré-Chrétiennes, 145). 15 Vgl. Vető, M., Simone Weil, 45. 16 Vgl. Vető, M., Simone Weil, 103. 17 Vgl. Weil, S.. Szerencsétlenség és istenszeretet, in Weil, S., Ami személyes és ami szent, 49-67, 51-52.

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