Folia Theologica et Canonica 4. 26/18 (2015)

SACRA THEOLOGIA - Krisztián Vincze, Die Realität und die würde des Leidens in der Philosophie von Simone Weil

105 DIE REALITÄT UND DIE WÜRDE DES LEIDENS... II. Das Problem des Leidens 1. Die Phänomenologie des Leidens Selbsterfahrung, Selbstwahmehmung, Selbstverwirklichung sind wichtige Be­griffe der modernen Philosophie, in denen auch die spannenden, neuwertigen, körperlichen und psychischen Erlebnisse ausschlaggebend sind. Inzwischen versuchen aber viele, vor den weniger schönen Phänomenen zu flüchten, einige wollen ihnen aus weichen oder wollen diese einfach verleugnen. Demnach gibt es keinen Platz mehr für die Kranken, Sterbenden und Unglücklichen.8 Simone Weil schrieb dem Leiden enorme Bedeutung zu. Einerseits bietet sie eine Phäno­menologie des Leidens dar, sie sucht eine Erklärung dafür, andererseits weist sie die ontologische Würde und die transzendente Offenheit des Leidens auf. Die Stellungnahme der französischen Philosophin zum Leiden wurde auch in ganz konkreten, praktischen Manifestationen ausgedrückt - das Leiden war nämlich ein alltäglicher Teil ihres Lebens, sodass das Leiden für Weil nicht nur ein vorgezogenes, für wichtig gehaltenes theoretisches Thema blieb. Laut Xa­vier Tilliette „schrieb sie über nichts, was sie vorhergehend nicht zu erleben versuchte“9. Simone de Beauvoir erzählte, dass Weil, als sie die Nachricht hör­te, dass in China Hungersnot tobte, zu schluchzen anfing, und sagte: „Heute zählt nur die Revolution auf der Erde, die allen Menschen genug zum Essen gibt“. Simone de Beauvoir konterte, „dass die Menschen nicht beglückt werden müssen, sondern sie müssen den Sinn ihres Lebens finden“! Darauf entgegnete Weil: „Man sieht, dass Sie noch nie gehungert haben!“10 11 Katalin Füzesséry re­sümiert ihr Leben folgenderweise: Sie arbeitete in der Renaultfabrik, in Spanien kämpfte sie für die Republik, sie hatte Schwindsucht, trotz ihrer stetigen Kopf­schmerzen konnte sie mit den durch Arbeit trainierten Bauern schritthalten. Nachdem sie und ihre Familie wegen der deutschen Okkupation von Frankreich nach Amerika umsiedelten, drückte sie ihre Solidarität mit den in Frankreich Gebliebenen und Leidenden so aus, dass sie jeden Tag nur die Portion aß, die sie zu Hause laut den offiziellen Nahrungsmittelcoupons bekommen hätte. Sie fühlte sich gut, wenn sie namenlos in den Armen und Verstoßenen der Gesell­schaft aufging." In der Phänomenologie des Leidens bei Simone Weil ist der Mensch der Ge­fahr des Leidens immer ausgesetzt. Diese Gefahr kann durch unseren Leib, un­8 Vgl. Lupo, R. M., Creazione e decreazione, La dialettica corporale di trascendenza ed imma­nenza in Simone Weil, in Filosofia e Teologia 1 (2005) 88-101, 89. 9 Tilliette, X., Philosophische Christologie, Freiburg 1998. 221. 10 de Beauvoir, S., Az „Egy jóházból való úrilány emlékei”-bői, in Weil, S., Ami személyes és amiszent, 301-302, 301. 11 Vgl. Füzesséry, k., A kegyelem és a nehézkedési erő (Schwerkraft und Gnade), in Ami szemé­lyes és ami szent, 308-317,310.

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