Folia Theologica et Canonica 4. 26/18 (2015)

SACRA THEOLOGIA - Hermann Stinglhammer, Die beste aller Welten? Kann man angesichts von Katastrophen noch an einen guten Schöpfer glauben? - Fundamentalteologische Erkundungen

86 HERMANN STINGLHAMMER Merkmal wie den homo sapiens handelt. Im Hinblick darauf spricht ein Teil der Naturwissenschaft seit 1974 (Carter) vom - starken oder schwachen - „anthro- pischen Prinzip“, von dem aus die gesamte kosmologische und evolutionäre Entwicklung teleologisch auf den Menschen hin interpretierbar ist. Im Blick auf das Faktum des Menschen sprechen die Naturwissenschaften von einer derart großen - und deshalb hochgradigst unwahrscheinlichen - Fein­abstimmung bereits in den ersten Nanosekunden unseres Kosmos, die voraus­gesetzt werden muss, damit eine Welt wie die unsere möglich wird.7 Das aber heißt auch, dass zu dieser Welt alle Naturkonstanten gehören, die aus dieser Feinabstimmung erwachsen. Der amerikanische Schöpfungstheologe C.T. Hughes verdeutlicht dies folgendermaßen: „Wenn die Gesetzmäßigkeiten, welche die Materie und ihre Eigenschaften bestimmen, eine Welt wie die un­sere und gleichzeitig auch die Pocken ermöglichen, dann wird es schwierig, den Prozess, der zu Pocken führt, wegzuwünschen, die dieser Prozess bzw. diese Gesetzmäßigkeiten ermöglichen oder zustande bringen.“8 Die entsprechende These lautet daher: „Die Bedingungen in unserem Weltall scheinen wirklich in einzigartiger Weise für Lebensformen wie uns Menschen geeignet zu sein; viel­leicht bieten sie sogar für jede komplexe organische Lebensform die bestmög­lichen Bedingungen“9 - auch in den damit gegebenen Leidbilanzen. Denn es gilt das evolutionstheoretische Axiom, dass jeder Vorteil an Entwicklung im­mer auch sein komplementäres Negativ bei sich trägt. Anders formuliert: Eine rein positive Bilanz ist in dieser endlichen Werdewelt nicht möglich10 11. Eine ab­solute Optimierbarkeit der Welt ist daher - so etwa Friedrich von Weizäcker - überhaupt nicht denkbar. IV. Theodizeerelevante Ergebnisse 1. Das Gut des Lebens ist in dieser konkreten Welt nicht ohne Leid möglich. Dies gilt gerade auch für den Menschen, in dem dieses Leiden zu spezifischer Bewusstheit kommt. Die naturgesetzliche Geschichte des Kosmos und der Evolution gehört auch mit ihren Negativa in die Deßnition des Menschseins." Übrigens verspricht auch der biblisch-christliche Glaube kein leidfreies Heil, sondern Heil durch das Leid hindurch. Auch der Auferstandene legt seine Wund­male nicht ab. 7 Vgl. Kreiner, A., Gott im Leid, 373. s Vgl. ebd. 9 Siehe Gribbin, J. - Rees, M„ Ein Universum nach Maß, 233. Kreiner, A., Gott im Leid, 376. 10 Vgl. Kreiner, A., Gott im Leid, 377. 11 Vgl. Kreiner, A., Gott im Leid, 377. Grom, B., Im Leid an Gott glauben? Neuere Überlegun­gen zu einer alten Frage, in StdZ 1992 (220) 707-716, hier 713.

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