Folia Theologica et Canonica 2. 24/16 (2013)
SACRA THEOLOGIA - Zoltán Rokay, Die „Religionsphilosophie” Johann-Gottlieb Fichtes. Ihre Hintergründe und ihre Aktualität
100 ZOLTÁN ROKAY für die etwaige Aktualität dessen zu ziehen, was Fichte über Gott, Religion und Kirche gesagt hat. Damit ist schon die Struktur meines bescheidenen Beitrags gegeben: ich werde zuerst über die Hintergründe der obengenannten Themen bei Fichte einige Worte sagen; dann werde ich über die „Aktualität” der Äußerungen Fichtes über die obengenannten Themen mein Urteil darlegen. I. Die Hintergründe der Aussagen Fichtes über Gott, Religion und Kirche Die Entdeckung Fichtes aufgrund der Fähigkeit die Sonntagspredigt des Pastors auswendig vorzusagen kann als Mythos verstanden werden, da sie einen Teil der Familiengeschichte (-„Romans”) darstellt, erzählt durch den Sohn Fichtes.2 Allerdings ist auffallend, dass man dem lange Zeit nichts eingewendet hat, was wiederum dafür spricht, dass man den gesamten weiteren Lebenslauf Fichtes von einer Predigt her zu verstehen versucht hat (Das „Predigtmotiv” kehrt dann im Leben und Werk Fichtes öfters zurück, worüber wir am entsprechenden Ort ausführlicher sprechen werden.). Die nächste Station in der Erziehung und Bildung Fichtes war sein Aufenthalt bei einem kinderlosen Pastorenehepaar, wo der kleine Johann-Gottlieb (wieder der Tradition gemäß) Geborgenheit erleben konnte, aber für das Erlernen der lateinischen Sprache der Ort weniger geeignet war. Darauf folgte die Schule in Meißen und endlich Schulpforta. Die letztere war Fichtes Heimat von 1774-1780.3 Die Hausordnung und Tagesordnung war dort sehr streng.4 Im gegenwärtigen Zusammenhang ist es interessant, dass täglich dreimal eine Andacht, bzw. Gebet stattfand. (Von Sonntagsgottesdienst und Inhalt der Andacht konnte ich nichts näheres erfahren). Die Gebete, Lieder und Gedanken im allgemeinen, welche diese geistlichen Übungen beinhalteten, sollten den religiösen Charakter der Institution und der Zöglinge im allgemeinen bestimmen, und haben bestimmt irgendeinen (positiven oder negativen) Einfluss auf sie ausgeübt.5 Man dürfte sich aber nicht wundem, wenn eine so intensive geistliche Erziehung - wenn auch noch so gut gemeint, gerade die entgegen2 Vgl. Fichte, I. H., Johann Gottlieb Fichtes Leben und literarischer Briefwechsel, I. Leipzig 1862. 3 Vgl. Jacobs, W. G., Johann Gottlieb Fichte, Reinbek 1984. 10. 4 Vgl. Kühn, M., Johann Gottlieb Fichte. Ein deutscher Philosoph. 1762-1814. Biographie, München, 2012. - Dass es dort auch Missbrauche gab, davon lesen wir in: Bahrdt, Carl Friedrich in der Geschichte seines Lebens, seiner Meinungen und seiner Schicksale, von ihm selbst erzählt, Frankfurt 1790. 106. - Dass es trotz Übertreibungen Bahrdt’s so etwas denken lässt, auch im privaten Bereich von geistlichen Personen, legt uns nahe: „Aus einem Brief’. In: Moritz, K. Ph., Gnothi S’autón, oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Fünfter Band, Erstes bis drittes Stück, 1787 (Verlaegt von Franz Greno, Nördlingen 1986. 78ff.).