Folia Theologica et Canonica 1. 23/15 (2012)
SACRA THEOLOGIA - Zoltán Rokay, Leo Scheffczyk und die Tübinger Schule
96 ZOLTÁN ROKAY „Reich Gottes die lebendige Grundidee, mit der der geschichtliche Prozess und das Positiv-Objektive der Kirche geistig zu erfassen sei „Zweifellos erwies sich diese Idee als geeignet, das Christentum als einen sich lebendig entfaltenden Organismus erkennen zu lassen und die Theologie von einem Zentrum her begreifen (.als „die höchste Idee, in welcher sich alle Wahrheiten und Anstalten Gottes durch Christus konzentrieren.“11 Die Formulierung „alle“ entspricht der Auffasung und Grundintention Scheffczyk, so wie er sie in „Katholische Glaubenswelt“ entfaltet.12 Obwohl die erste Generation der Tübinger Schule unter dem Einfluss von Sailer stand, zeigte sich schon in ihrem Hauptvertreter ein Unterschied (wie schon oben erwähnten dem Verständnis des Kirchenbegriffes. Scheffczyk umschreibt diese Differenz auf folgende Weise: „Da (...) Sailers Glaubensund Kirchenbegriff von der romantischen Idee des Lebens getragen und von Fr. H. Jacobis und Schleiermachers Gefühlsreligiosität bestimmt, zu einer Er- lebnistheologie tendierte, die der transsubjektiven Wirklichkeit von Kirche und Dogma nicht vollauf gerecht wurde, reichten seine Impulse zur Begründung einer positiven wissenschaftlichen Theologie nicht aus. Das leisteten erst die Vertreter der Katholischen Tübinger Schule (...) Schon bei Johann Sebastian Drey (...) dem Gründer der Tübinger Schule, zeigt sich gegenüber Sailer eine gewandelte Auffassung, die sowohl das Denken über die Geschichte wie über die Kirche bestimmt (...)“13 - Im Gegensatz zu Sailer, „vertritt Drey den lebendig-organischen Geschichtsbegriff, der das Historische und Positive nicht vereinzelt erfasst, sondern es als einen von Notwendigkeit und Freiheit (...) gestifteten Zusammenhang versteht, der das Vergangene zu beständigen Gegenwart übertiefert. Mit einem solchen Verständnis musste sich aber auch die Auffassung von der Kirche wandeln. Wenn nämlich, wie in der rationalistischen Grundvorstellung der Aufklärung, die geschichtliche Urtatsache des Christentums nicht als lebendiger Zusammenhang und als Fortdauer begriffen wird, fehlt auch, die ,Objektivität der unmittelbaren Anschauung1, an deren Platz bald die mittelbare Beschreibung und die subjektive Deutung treten muss. So gelangte Sailer notgedrungen nur zu einer subjektiven Wiedererweckung der christlichen Urtatsachen im frommen Gemüt, und die Kirche wurde wesentlich als der Raum der mystischen Verinnerung der Christustatsache verstanden. Demgegenüber ergibt sich bei Drey aus dem objektiv-organischen Verständnis der Geschichte auch die Transsubjektivität und Objektivität der Kirche, die allerdings aus einem anderen (noch zu erwähnenden) Grunde theologisch noch nicht adäquat zur Aussage gelangt. Auf jeden Fall wird ihm auf diesem Wege 11 Ebd. XIV-XV. 12 Vgl. Katholische Glaubenswelt, vor allem: Die Verpflichtung auf die Ganzheit, 5. Lebensganzheit aus Natur und Gnade, 211 ff. 13 Scheffczyk, L. (Hrsg.), Theologie in Aufbruch und Widerstreit, XII.