Folia Theologica et Canonica 1. 23/15 (2012)
IUS CANONICUM - Joseph Gehr, Die Förderung der affektiven Reife in der Seminarausbildung. Eine unerlässliche Voraussetzung zur Vorbereitung auf das zölibatäre Leben des Priesters
DIE FÖRDERUNG DER AFFEKTIVEN REIFE IN DER SEMINARAUSBILDUNG 239 dung der Seminarerzieher anbieten44. Im Idealfall werden die Seminarerzieher vor oder zumindest am Beginn ihrer Aufgabe durch entsprechende Mitarbeit und geeignete Kurse vorbereitet und im Verlauf ihres Dienstes als Regens, Spiritual und Dozenten fortgebildet45 46. Gemäß den „Leitgedanken für die Erziehung zum priesterlichen Zölibat“ darf die Sensibilisierung der priesterlichen Pädagogen im Hinblick auf die Erziehung zur affektiven Reife nicht zu kurz kommen44. Auf eine geeignete Formung der Ausbilder verweisen darüber hinaus die von der gleichen Kongregation erlassenen „Leitlinien für die Anwendung der Psychologie bei der Aufnahme und Ausbildung von Priesterkandidaten“. Nach diesen „soll jeder Seminarerzieher vor allem durch geeignete Fachkurse zu einem tieferen Verständnis der menschlichen Person und den Anforderungen zur Ausbildung der Priester befähigt werden. Zu diesem Zweck können Treffen mit Psychologen zum Meinungsaustausch oder zur Klärung spezifischer Themen von großem Nutzen sein“47. 5. Unterscheidung der Kandidaten Mit Blick auf die Seminarerziehung ergibt sich aus der weiter oben ausgeführten Analyse der gegenwärtigen kulturellen Atmosphäre nach Kardinal Piacenza zunächst die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen Seminaristen, die traditionell christlich im Hinblick auf den Umgang mit der menschlichen Geschlechtlichkeit erzogen worden sind, und jenen, die in dieser Hinsicht spürbar säkular geprägt und daher selbst mit Gottes Gnade nicht imstande sind, ohne Hilfestellung radikal andere Haltungen und Denkweisen zu üben. Diese Sicht der Dinge schließe nicht notwendigerweise die Schaffung unterschiedlicher Ausbildungsgänge ein; noch bringe diese Lage der Dinge die Unmöglichkeit mit sich, jenes seelische Gleichgewicht zu erlangen, das schon vor der Weihe zu erreichen sei. Dennoch verlange sie eine radikale Förderung des Bewusstseins sowohl des Kandidaten als auch des Ausbilders, verbunden mit einer guten Dosis demütigen Realismus und einem sehr engagierten Weg. Es gehe nicht nur darum, Laster zu besiegen und Tugenden zu erlangen, sondern in sich selbst jene anthropologische Struktur zu erkämpfen und zu gewinnen, die sich von der herrschenden Kultur unterscheide48. 44 Vgl. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.), Rahmenordnung fir die Priesterbildung (12. März 2003), Die dt. Bischöfe 73, Nr. 59,44. 45 Vgl. Kongregation Bildungswesen, Preparazione, arts. 48-71, nn. 3233-3268 (1757-1770). 46 Vgl. Kongregation Unterrichts wesen, Leitgedanken, Nr. 39,41. 47 Kongregation für das Katholische Bildungswesen, Leitlinien für die Anwendung der Psychologie bei der Aufnahme und Ausbildung von Priesterkandidaten, Vatikanstadt 2008. Nr. 4, 8. 48 Vgl. Piacenza, M., Laformazione affettiva al sacro celibato, 19.