Folia Theologica et Canonica 1. 23/15 (2012)
IUS CANONICUM - Joseph Gehr, Die Förderung der affektiven Reife in der Seminarausbildung. Eine unerlässliche Voraussetzung zur Vorbereitung auf das zölibatäre Leben des Priesters
230 JOSEPH GEHR I. Verpflichtung zum Zölibatären Leben Das hohe Gut der priesterlichen Ehelosigkeit ist in der Tradition und Disziplin der lateinischen Kirche fest verankert. Dieser Sachverhalt wird in den Normen des kirchlichen Gesetzbuches über die „Ausbildung“ und über die „Pflichten und Rechte der Kleriker“ deutlich. Gemäß can. 277 § 1 CIC sind die Kleriker gehalten, „vollkommene und immerwährende Enthaltsamkeit um des Himmelreiches willen zu wahren; deshalb sind sie zum Zölibat verpflichtet, der eine besondere Gabe Gottes ist, durch welche die geistlichen Amtsträger leichter mit ungeteiltem Herzen Christus anhangen und sich freier dem Dienst an Gott und den Menschen widmen können“3. Der zitierte Gesetzestext fasst die Aussagen des Dekrets „Presbyterorum Ordinis“ über den Dienst und das Leben der Priester des Zweiten Vatikanischen Konzils4 hinsichtlich des ehelosen priesterlichen Lebens „zusammen und stellt vor allem die Ganzhingabe (.ungeteilten Herzens4) des zölibatären Klerikers an Christus sowie seine freiere Verfügbarkeit für den Sendungsauftrag Christi heraus“5. Er verweist auf die positive Offenheit des jungfräulichen priesterlichen Lebens und auf seinen Geschenkcharakter. Die Verpflichtung zum Zölibat beruht auf der zitierten Norm6 und besteht „nach Mörsdorf in einem Verbot und einem Gebot, einem Verbot zur Eingehung einer Ehe und einem Gebot der vollkommenen Keuschheit, d. h. der geschlechtlichen Enthaltsamkeit im Tun, Denken und Wollen“7. Den Zölibat mit Blick auf diese Gegebenheit nur als disziplinarische Maßnahme zu verstehen, wäre zu kurz gegriffen. Seine theologische Begründung basiert auf der Gleichgestaltung des Priesters mit Jesus Christus im Sakrament der Weihe8. Wie Christus sich als Bräutigam der Kirche als Braut vollständig und ausschließlich hingegeben hat und dies in der Feier der heiligen Eucharistie beständig tut, muss sich auch der Priester der Kirche hingeben. Der Zölibat ist hierzu Zeichen und Mittel9. 3 Der deutsche Text der Nonnen des kirchlichen Gesetzbuches ist entnommen aus: Codex Iuris Canonici - Codex des kanonischen Rechtes. Lateinisch-deutsche Ausgabe, Kevelaer 20096 [CIC]. 4 Vgl. Concilium Oecumenicum Vaticanum II, Decretum de Presbyterorum ministerio et vita Presbyterorum ordinis (7 dec. 1965): Enchiridion Vaticanum. Documenti dei Concilio Vaticano II (1962-1965) [Testo ufficiale e versioné italiana], 1. Bologna 1996. arts. 1-22, nn. 1243-1318 (1160-1245), hier art. 16, nn. 1296-1298(1220-1227) [PO], 5 Reinhardt, H. J. F., can. 277 CIC: Münsterischer Kommentar zum Codex Iuris Canonici unter besonderer Berücksichtigung der Rechtslage in Deutschland, Österreich und der Schweiz (Hrsg, von Lüdicke, K.), Essen 1985, Stand: 26 (Erg.-Lfg. November 1996), Rdnr. 3. 6 Vgl. Reinhardt, H. J. F., can. 277 CIC, Rdnr. 4. 7 Zitiert nach Reinhardt, H. J. F., can. 277 CIC, Rdnr. 5. 8 Vgl. Hauke, M., Der Zölibat ist kein Dogma, sondern nur eine disziplinarische Norm. Warum legt die Kirche dennoch so großen Wert darauf?, in Cattaneo, A. (Hrsg.), Verheiratete Priester? 30 brisante Fragen zum Zölibat, Paderborn 2012. 48-50. 9 Vgl. Cattaneo, A., Die Hauptaufgabe des Priesters ist die Feier der Eucharistie. Was hat der Zölibat damit zu tun?, in Cattaneo, A. (Hrsg.), Verheiratete Priester?, 57-58.