Folia Canonica 6. (2003)

STUDIES - Peter Landau: Seelsorge in den Kanonessammlungen von der Zeit der gregorianischen Reform bis zu Gratian

SEELSORGE IN DEN KANONESSAMMLUNGEN 79 Seelsorge auf,populi electio, episcoporum institutio et abbatis consensus1.145 Er beruft sich dafür auf Hieronymus, Gregor und Gelasius - doch ergibt sich das zweifellos neuerfundene Prinzip keineswegs aus dem angeführten Gre­gor-Text.146 Ähnliches steht nur einmal in dem Brief des Hieronymus an Rusti­cus, den Gratian an dieser Stelle bringt,147 und ferner in einem von Gratian ange­führten Pseudo-Gelasius-Text, in dem es heisst, dass der Abt für einen ihm un­tergebenen Mönch die Priesterweihe vom zuständigen Bischof erbitten könne, der Bischof den Mönchspriester dann auf eine Stelle mit,sacerdotii offitium1 setzen dürfe, und ein solcher Priester darauf als Seelsorger wirken könne, legiti­miert ,vel populi vel episcopi electione1.148 In diesem Text wird in unbestimmter Weise ein Auswahlrecht des Volkes neben dem des Bischofs erwähnt; offenbar findet sich hier die Textgrundlage für das in Gratians Dictum entwickelte inno­vative Modell einer Auswahl der Mönchspriester durch das Volk. Der Gelasi- us-Text stammt aber keineswegs von dem Papst der Spätantike, sondern ist of­fensichtlich eine zu Anfang des 12. Jahrhunderts komponierte Fälschung, die ausserhalb des Dekrets als Zusatz in einer Handschrift der bereits an anderer Stelle erwähnten B-Rezension des Anselm von Lucca vorkommt;149 er ist nach Friedberg auch in der Sammlung in 13 Teilen (10.137) enthalten,150 die von An­selm von Lucca (Rezension Ven.) abhängig ist;151 doch konnte ich den Text in dieser Sammlung nicht Enden. Gratians Kapitel zum Recht der Mönche auf Seelsorge bestehen zu einem erheblichen Teil aus zeitgenössischen oder wenig früheren Fälschungen - insgesamt sind es acht von 36 Kapiteln in den ersten bei­145 Diet. p. C.16, q.l, C.25: „Quod vero populi electione, episcoporum institutione, et abbatis consensu potestatem suam exequi valeant, Jeronimi, Gelasii et Gregorii auctoritate probatur.” 146 Mit der ‘Auctoritas Gregorii’ sind offenbar C.16, q.l, c.23-24 gemeint. 147 C. 16, q. 1, C.26: „Quod si populus vel episcopus te in clericum elegerit, age ea, que clerici sunt.” 148 C.16, q.l, C.28: „Si quis monachus fuerit, qui venerabilis vitae merito sacerdotio dignus prevideatur, et abbas, sub cuius inperio regi Christo militat, illum fieri presbiterum petierit, ab episcopo (om. ed. Friedberg, cf. n. 217) ipso debet eligi, et in loco, quo iudicaverit, ordinari, omnia, que ad sacerdotii offitium pertinent, vel populi vel episcopi electione provide et iuste acturus.” Von den bei diesem Text in der handschriftlichen Überlieferung enthaltenen Text­varianten ‘ab ipso’ und ‘ab episcopo ipso’ ist offenbar ‘ab episcopo ipso’ vorzuziehen, da für ein ‘ordinari’ des Mönchs nur der Bischof in Frage kommt. 149Es handelt sich um m.s. Vat. lat. 1364, cfr. oben n.99. Pseudo-Gelasius (C.16, q.l, c.28) erscheint hier ohne Inskription unmittelbar nach C. 16, q. 1, c.23 und c.24. In margine ist in die­sem Manuskript in späterer Kursivschrift (wohl 16. Jahrhundert) die Übereinstimmung der drei Texte mit Gratian vermerkt. Da alle drei Texte in Vat. lat. 1364 ohne die Inskriptionen Gratians aufgenommen werden, halte ich es für unwahrscheinlich, dass Gratian die Quelle für diese Zusätze in Vat. lat. 1364 war. Die Zusätze dürften auf anderem Wege in dieses An­selm-Manuskript gelangt sein, vielleicht bereits vor 1140. '50Cf. Friedberg, n. 215 ad C.16, q.l, c.28. 151 Cfr. die Angaben in Landau, Erweiterte Fassungen (Fn. 87), 330.

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