Folia Canonica 6. (2003)

STUDIES - Peter Landau: Seelsorge in den Kanonessammlungen von der Zeit der gregorianischen Reform bis zu Gratian

58 PETER LANDAU fehlt auch noch in dieser Epoche kirchlicher Rechtsgeschichte, in der das Rechtsinstitut der Pfarrei erst in Ansätzen vorhanden war, eine generelle oder re­gionale Regelung in den Kanones. Die karolingische Pfarrei stand stark unter der Herrschaft laikaler Eigenkirchherren1 * *,4 so dass man rechtsgeschichtlich das Thema der Seelsorge für diese Epoche nur im Zusammenhang mit dem Eigen­kirchenwesen behandeln kann. Welche Bedeutung neben dem unter dem,domi­nium1 von Eigenkirchherren stehenden Kirchen ein Typ genossenschaftlicher Gemeindekirchen gespielt hat, müsste erneut untersucht werden. Die eine ger­manische Kontinuität betonende kirchenrechtliche Schule von Ulrich Stutz {Hans Erich Feine, Heinrich Felix Schmid) hat einen im wesentlichen einheitli­chen Typ von Genossenschaftskirchen feststellen wollen, für den sich in den spezifisch kanonistischen Quellen allerdings nur spärliche Belege finden.5 Konflikte in Fragen der Seelsorge konnten allerdings schon damals dann ent­stehen, wenn in neumissionierten Gebieten zwischen Bischöfen und Äbten Streitigkeiten über die Seelsorge an den Landkirchen entstanden. So wurde in Bayern zur Zeit Herzog Tassilos III. 772 auf dem Konzil von Neuching erörtert, ob Mönche Pfarreien haben könnten und taufen dürften. Man versuchte, sich darüber Auskunft in den canones oder in den decreta patrum, womit wohl primär päpstliche Dekretalen gemeint sind, einzuholen, konnte aber nichts Geeignetes finden.6 Von allen bayerischen Äbten sei ein Gelöbnis abgelegt worden, „ut mi­nime titulis popularibus se ingerere depellerentur et haec cui commissae sunt plebes sub potestate episcoporum permanerent, sicut in sanctis sinodicis vel de­cretis priscorum patrum perarata comprobatur conscriptio“ — die Äbte sollten sich in Zukunft nicht mehr in Angelegenheiten der , Volkskirchen“ einmischen; do-Isidor cfr. die anregende Studie von H. SCHNEIDER, Die Geburtsurkunde des Weihwassers (JK+24) und andere Liturgien bei Pseudoisidor, in W. Hartmann - G. SCHMITZ (Hrsgg.), Fortschritt durch Fälschungen? Ursprung, Gestalt und Wirkungen der pseudoisidorischen Fälschungen (Monumenta Germaniae Historica, Studien u. Texte Bd. 31), Hannover 2002, 89-110. 4H. E. Feine, Kirchliche Rechtsgeschichte, 5a ed. Köln/Graz 1972, 189, allerdings mit Beschränkung auf Frankreich und Deutschland. 5 Cf. die Zusammenfassung der Ergebnisse der älteren Forschung bei Feine, ibi p. 185s.; H. F. SCHMID, Gemeinschaftskirchen in Italien und Dalmatien, in Zeitschriftfür Rechtsgesch. Kanonistische Abteilung 46 (1960) 1-61; H. E. FEINE, Die genossenschaftliche Gemeindekir­che im germanischen Recht, in Mitteilungen des Instituts für österr. Geschichtsforschung 68 ( 1960) 171-196. Nach den Forschungen von Dietrich Kurze scheinen die Genossenschafts­kirchen eine Besonderheit der skandinavischen Kirchenorganisation gewesen zu sein - cf. D. KURZE, Pfarrerwahlen im Mittelalter, in Forschungen zur kirchl. Rechtsgesch. u. zum Kir­chenrecht Bd. 6, Köln/Graz 1966, 74-95. 6 Notitia de Concilio Neuchingensi, A. Werminghoff (ed.), MGH, Leg. Sect. Ill, Cone. II/1, Hannoverae etc. 1906,105 : „Unde ab universis abbatibus facta professio ut minime titu­lis popularibus se ingerere depellerentur et haec cui commissae sunt plebes sub potestate epis­coporum permanerent, sicut in sanctis sinodicis vel decretis priscorum patrum perarata com­probatur conscriptio.”

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