Folia Canonica 5. (2002)
STUDIES - Peter Landau: Einführung in 'Peter Erdő', Die quellen des Kirchenrechts
PETER ERDŐ, DIE QUELLEN DES KIRCHENRECHTS 207 Codex Juris Canonici ersetzte, der 1983 in Kraft trat und teilweise die Theologie des Zweiten Vatikanischen Konzils in Rechtsnormen umsetzen konnte, schliesslich das gemeinsame Gesetzbuch für die mit Rom unierten orientalischen Kirchen, den Codex Canonum Ecclesiarum Orientalium, den Papst Johannes Paul II. am 18. Oktober 1990 promulgierte. Es ist klar, dass die Kodifikationen des kirchlichen Rechts im 20. Jahrhundert in einer modemen Darstellung berücksichtigt werden mussten - sind sie doch gesetzestechnisch bewundernswerte Leistungen und gehört die Zusammenfassung orientalischer Rechtstraditionen im Codex von 1990 zu denjenigen Schritten in der Geschichte der katholischen Kirche, die diese Kirche über die lateinische Tradition hinaus zu einer Universalkirche machen, in der es prinzipiell auch im kirchlichen Recht eine ,versöhnte Verschiedenheit' geben kann. Peter Erdő hat diese neue Perspektive des Kirchenrechts am Ende seines Buches in einem Ausblick deutlich herausgestellt. Sein Buch geht aber auch neue Wege bei der Darstellung der Quellen des Kirchenrechts im ersten Jahrtausend. Die Darstellung dieses Zeitalters nimmt mehr als die Hälfte seines Werkes ein, so dass das hochmittelalterliche klassische kanonische Recht des Corpus Iuris Canonici von Gratian bis zu den Clementinen, dem Gesetzbuch von 1317, weniger als in anderen Darstellungen allein im Mittelpunkt steht. Das erste Jahrtausend der Kirchengeschichte ist weitgehend noch ein Zeitalter gemeinsamer Kirchenrechtsentwicklung in Ost und West, auch wenn sich die Trennung von 1054 schon Jahrhunderte vorher ankündigt. Erdő behandelt auch die byzantinischen Quellen des Kirchenrechts — er folgt darin der lateinisch verfassten Quellengeschichte von Kardinal Alfons Stickler;4 die er im seinem Vorwort zu Recht als klassisches Werk kennzeichnet, dem er viel zu verdanken habe. Im Zeitalter des Kirchenrechts des ersten Jahrtausends unterscheidet Erdő verschiedene Perioden mit teilweise anderen Trennlinien als in früheren Handbüchern. Zunächst fasst er Frühkirche und spätantike Reichskirche in einer Periode, dem patristischen Zeitalter, zusammen, das nach ihm bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts reicht. Er betont damit die Bedeutung der antiken Traditionen bis in ein Jahrhundert, das man früher meist ausschließlich dem Mittelalter zuordnete. Aus kanonistischer Perspektive muss man Erdős Sicht als durchaus überzeugend betrachten. Denken wir nur daran, dass die bedeutendste Rechtsquelle des spätantiken Kirchenrechts im Westen, die Sammlung des Dionysius Exiguus aus der Zeit um 500, erst durch die Übersendung des Textes von Papst Hadrian I. an Karl den Großen 774 ihren europäischen Siegeszug antrat, oder dass die sogenannte Sammlung von Freising, die in einem Codex von 785 aus der alten Bischofsstadt in der Nähe Münchens überliefert ist, einer der wertvollsten Schätze 4 A. M. Stickler, Historia Iuris Canonici Latini. Historia Fontium, Augustae Taurinorum 1950.