Folia Canonica 5. (2002)
STUDIES - Brend Eicholt: Gewaltenunterscheidung Statt Gewaltentrennung im kanonischen Verfassungsrecht
202 BERND EICHOLT Die Überschneidungen zwischen ausführender und gesetzgebender Gewalt dienen fast ausschließlich ausdrücklich dem Ziel, eine Einzelfallgerechtigkeit zum Wohle der Sendung der Kirche bzw. des Seelenheils zu erreichen. Eine Ausnahme von der Gesetzesbindung ist in diesen Fällen imverzichtbar, da Recht und Barmherzigkeit wichtiger sind als das Gesetz.127 Das Kirchenrecht hat daher im Hinblick auf die Verwirklichung der Communio allein einen instrumentalen Charakter.127a Die Beachtung dieses Gmndsatzes ist schon deswegen erforderlich, weil für die Kirche das Heil der Seelen immer höchstes Gebot sein muß (c. 1752 CIC). Die Überschneidungen zwischen der richterlichen und der ausführenden Gewalt lassen sich insbesondere dann rechtfertigen, wenn bei der Frage, ob der gerichtliche oder der verwaltungsmäßige Weg gewählt wird, darauf abgestellt wird, auf welchem Verfahrensweg dem Seelenheil sowie der Sendung der Kirche am besten entsprochen werden kann. Dies sollte auch für denjenigen, der die Entscheidung über den Verfahrensweg zu treffen hat, der entscheidende Gesichtspunkt sein. Dabei muß jeweils auch berücksichtigt werden, ob es gerechtfertigt ist, mit der Wahl des Verwaltungsweges Rechte vorzuenthalten, die dem Betroffenen im gerichtlichen Verfahren zustünden. Die Frage schließlich, ob auch die Durchbrechung zwischen der richterlichen und der gesetzgebenden Gewalt (c. 1399 CIC) gerechtfertigt ist, kann hier nicht diskutiert werden. Jedenfalls ist diese Vorschrift wegen der Problematik, daß sie nicht mit dem „nulla poena”-Satz in Einklang gebracht werden kann, zurückhaltend anzuwenden. 2. Gewaltenteilung in der katholischen Kirche? a) In der kanonistischen Literatur wird bisweilen die Frage der Übernahme des Prinzips der Gewaltenunterscheidung aus dem weltlichen Recht in das kanonische Recht diskutiert.128 Da in diesem Zusammenhang jedoch jeweils der Primat des Papstes behandelt wird, dürfte hierbei die „vertikale” nicht jedoch die hier behandelte „horizontale” Gewaltenteilung gemeint sein. b) Entscheidend für die Gewaltenunterscheidung und gegen eine Gewaltenteilung spricht, daß diese letztlich auf göttliches und damit unabänderbares Recht gestützt wird. 127 Matth 23,23.; s. auch 2 Kor 3,6: „Der Buchstabe tötet, der Geist aber macht lebendig.”. 127a H. Hallermann, Die Funktion des Rechts in der Communio, AfkKR 166 (1997), S.453 ff. (462 f.). 1281. Riedel-Spangenberger, Der Jurisdiktion- und Lehrprimat des Papstes in der Diskussion, Archiv fúr katholisches Kirchenrecht 165 (1996) S. 25 ff. (54 f.); P. Hünermann, Amt und Evangelium, Herder Korrespondenz 50 (1996) S. 298 ff. (302).