Folia Canonica 5. (2002)

STUDIES - Brend Eicholt: Gewaltenunterscheidung Statt Gewaltentrennung im kanonischen Verfassungsrecht

GEWALTENUNTERSCHEIDUNG STATT GEWALTENTRENNUNG 201 es sich hierbei um eine Abweichung vom Grundsatz der Gesetzesbindung des Richters handelt. Da eine ausführliche Diskussion dieser Frage in der Literatur für c. 1399 CIC bisher nicht erfolgt ist, wird insoweit auf die Diskussion hin­sichtlich der c. 1399 CIC im wesentlichen entsprechenden Vorschrift des CIC 1917 (c. 2222 § 1) zurückgegriffen. Dort war diese Frage umstritten: Vertreten wurde, daß in diesen Fällen ein zweifacher Akt gesetzt wurde: Zunächst ein Akt der Gesetzgebung, in dem ein Verhalten rückwirkend mit einer Strafe belegt wurde und anschließend die Verhängung der Strafe. Wäre diese Auffassung für c. 1399 CIC zutreffend, würden Gerichte Aufgaben der Gesetzgebung wahmeh- men. Eine weitere Auffassung ging davon aus, daß c. 2222 § 1 CIC 1917 jedes Gesetz mit einer Strafdrohung versehe. Ein Konflikt zwischen der gesetzgeben­den und der richterlichen Gewalt ergäbe sich auf der Grundlage dieser Auffas­sung nicht. Die herrschende Auffassung123 vertrat dagegen, daß es sich hierbei um eine Ausnahme vom „nulla poena”-Grundsatz handle, also eine strenge Ge­setzesbindung ausnahmsweise nicht bestehe.124 Da c. 1399 CIC (im Gegensatz zu c. 2222 § 1 CIC 1917) nicht mehr davon spricht, daß nur ein „Oberer” in die­sen Fällen eine Strafe verhängen kann, kommt die zuerstgenannte Auffassung nicht mehr in Betracht.125 Der Wortlaut des c. 1399 CIC spricht eher für die herr­schende Auffassung. C. 1399 CIC ist daher als Überschneidung zwischen rich­terlicher und gesetzgebender Gewalt anzusehen. III. DISKUSSION DER GEWALTENUNTERSCHEIDUNG IM CIC 1. Durchführung der Gewaltenunterscheidung Der Absicht des Gesetzgebers, die Funktionen von Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung eindeutig zu untersche'den und hinreichend festzulegen, von welchem Organ die Funktionen ausgeübt werden126 wird der CIC weitgehend gerecht. Auch die festgestellten Durchbrechungen der Gewalten untereinander ste­hen diesem Ergebnis nicht entgegen, da diese überwiegend gerechtfertigt sind. 123 Mörsdorf III (Fn. 106), S. 308 f.; J. Casey,/) Study of Canon 2222, § I, Washington D. C. 1949, S. 42. 124 vgl. dazu W. Rees, Bestrafung ohne Gesetz, in Iuri Canonico Promovendo, Festschrift fur H. Schmitz, W. Aymans / - K.-T. Geringer (Hsg.), Regensburg 1994, S. 373 ff.(S. 380 f.) sowie H. Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche, III. Band, Prozeß- und Strafrecht, Pader­born 21953, S. 480 f. 125 vgl. MK-Lüdicke (Fn. 45) c. 1399 Rn. 1. 126 Leitsatz 7 der Bischofssynode zur Reform des Codex (vgl. Schmitz in HbkKR (Fn. 30), S. 43).

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