Folia Canonica 5. (2002)

STUDIES - Brend Eicholt: Gewaltenunterscheidung Statt Gewaltentrennung im kanonischen Verfassungsrecht

GEWALTENUNTERSCHEIDUNG STATT GEWALTENTRENNUNG 197 aa) Gemäß c. 1342 § 1 CIC kann eine Strafe wegen einer Straftat nicht nur in einem gerichtlichen Verfahren verhängt bzw. festgestellt werden, sondern auch durch außergerichtliches Dekret, also im Rahmen eines Verwaltungsverfahrens. C. 1342 § 2 CIC enthält eine Einschränkung, daß Strafen für immer nicht durch Dekret verhängt oder festgestellt werden können. Der CIC geht davon aus, daß Strafsachen regelmäßig in einem gerichtlichen Verfahren verfolgt werden; die Durchführung des außergerichtlichen Verfahrens kommt nur in Betracht, wenn der Durchführung des gerichtlichen Verfahrens gerechte Gründe entgegenste­hen. Trotz des Plurals („iustae obstent causae”) ist das Vorliegen eines gerechten Grundes ausreichend. Ein gerechter Grund ist ein vernünftiger, der jedoch nicht schwerwiegend zu sein braucht.103 Ein gerechter Grund soll z. B. dann vorliegen, wenn eine Situation gegeben ist, die ein besonderes Ärgernis hervorruft und eine rasche strafrechtliche Reaktion erforderlich macht oder wenn die Gerichte durch andere Verfahren (Eheverfahren) überlastet sind.104 Gegen diese Vorschrift werden Bedenken erhoben: Die Grundlage (gerech­ter Grund) wird als zu schmal empfunden, da im Falle der Wahl des Verwal­tungsverfahrens die im gerichtlichen Verfahren geltenden Garantien keine An­wendung finden.105 Bei der Auslegung dieser Vorschrift wird man die Gesetzesgeschichte be­rücksichtigen müssen. Gern. c. 1933 § 4 CIC 1917 konnte eine Strafe durch De­kret verhängt oder festgestellt werden, wenn sowohl die Begehung der Tat durch den Täter als auch dessen volle Verantwortlichkeit sicher feststand.106 Trotz die­ser strengenZulässigkeitsvoraussetzungen war in Strafsachen (bis zum Inkraft­treten des CIC 1983) die Durchführung des Verwaltungsverfahrens die Regel.107 Hiervon sollte im neuen CIC anscheinend Abstand genommen werden. Wäh­rend der Beratungen wurde nämlich festgestellt, daß ein gerichtliches Verfahren grundsätzlich der Gerechtigkeit besser dient, als ein Verwaltungsverfahren.108 Obwohl auch der im Verwaltungsverfahren geltende c. 1720 CIC dem Ange­klagten die Möglichkeit der Verteidigung gibt (Bekanntgabe der Beweise und Gewährung rechtlichen Gehörs, vgl. c. 1720 1° CIC) und alle Beweise und Be­gründungen durch den Ordinarius und zwei Beisitzer abzuwägen sind (c. 1720 2° CIC), wird man die gegenüber dem gerichtlichen Strafprozeß schlechtere Ver­103 MK-Lüdicke (Fn. 45) c. 1342 Rn. 3. 104 Green in J. Coriden - T. Green - D. Heintschel, The Code of Canon Law, New York-Mahwah 1985, S. 912. 105 Walf (Fn. 55), S. 238; Rees Strafgewalt (Fn. 86), S. 400, Pree, Imputabilitas (Fn. 57a), S. 226 Fn. 2. 106 K. MÖRSDORF, Lehrbuch des Kirchenrechts auf Grund des Codex Iuris Canonici, III. Band, Prozeß- und Strafrecht, Paderborn 111958 (zitiert: Mörsdorf III), S. 214. 107 Paarhammer in HbkKR (Fn. 30), S. 1004. 108 s. Communicationes 9 (1977) S. 161.

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