AZ ORSZÁGOS SZÉCHÉNYI KÖNYVTÁR ÉVKÖNYVE 1973. Budapest (1976)
III. Könyvtártörténeti és művészettörténeti tanulmányok - Berlász Jenő: Könyvtári kultúránk bontakozása a 16—17. században - Die Entstehung der ungarischen Bibliothekskultur im 16—17. Jahrhundert
Die Reformation verbreitete sich auch in Ungarn mit einem beispielslosen Elan und Zielbewußtsein. Dies war z.T. dem Umstand zu verdanken, daß sich die führenden gesellschaftlichen Schichten (das städtische Bürgertum, die Aristokratie und der Landadel) ohne Verzug dem Protestantismus angeschlossen haben; z.T. aber auch dem, daß die Künder der neuer Religion die soziale Bedeutung des gedruckten Buches bereits am Beginn der Bewegung erkannt haben, und die zerfallenen religiös-kulturellen Organe der katholischen Kirche bald mit neuen ersetzen konnten. Sowohl in den westlichen und nördlichen Landesteilen, auf dem Hauptgebiet der lutherischen Reformation, als auch im Osten (auf der sog. Großen Ungarischen Tiefebene und in Siebenbürgen), auf dem Boden der Reformation schweizerischen Typs, entstanden die protestantischen, städtischen Kulturzentren in rascher Folge. Hier wurden — außer Grundschulen — eine ganze Reihe von Mittelschulen gegründet, wo nicht nur die zum Theologiestudium ausgewählten Schüler, sondern auch breite, sich aus allen Ständen rekrutierenden Schichten der weltlichen Intelligenz sorgfältig ausgebilden wurden. Im engen Zusammenhang mit der Schulbildung und mit der Verbreitung der Kunst des Lesens und Schreibens erwachte ein immer zunehmender Bedarf nach Büchern. Da sich die neuen Leserkreise der laizisierten Gesellschaft über keine hinreichenden Lateinkenntnisse mehr verfügten, bedarf es vieler nationalsprachiger Bücher sowohl im höheren Unterricht als auch in der Mission. Diese konnten auf langer Sicht im Ausland nicht hergestellt werden, man mußte Buchdruckereien im eigenen Lande gründen. Es wurde dann bald offensichtlich, daß so viele Bücher, die einen jeden Interessierten befriedigen, in Ungarn nicht gedruckt werden können. So Entstand das Bedürfnis nach gemeinsamen Büchersammlungen oder nach solchen Institutionen, wo Bücher gelesen werden können. Man gründete daher die ersten öffentlichen Bibliotheken neben den Schulen. Das waren zunächst bescheidene, zumeist nur dem Unterricht dienenden Institutionen, die aber auf dem Laufe der Jahrzehnte mit der Unterstützung der Stadtmagistraten oder der adeligen Mäzene, durch die aus dem Westen importierten wissenschaftlichen Bücher zu immer bedeutenderen, allgemeinbildenden Institutionen wurden. Inwiefern die Intellektualisierung der laizisierten Gesellschaft zunahm, meldete sich auch in solchen Kreisen der Bedarf nach Büchern, nach Büchersammlungen. Sowohl die städtischen Patrizier als auch die Aristokraten konnten sich leisten, daß sie sich — mit großem materiellem Aufwand — nicht nur die im Inland gedruckten Bücher, sondern auch die berühmten ausländischen Ausgaben besorgten, auf welche sie durch ihre Seelsorger aufmerksam gemacht wurden. Die Pfarrer selbst gingen mit gutem Beispiel vor, was die Aufstellung von Privatbibliotheken betrifft. In der ersten Hälfte des 17. Jhs. waren die geistlichen, bürgerlichen und aristokratischen Privatbibliotheken sowohl in Siebenbürgen als auch im alten Königreich bereits eine allgemeine Erscheinung. Der Protestantismus konnte diese, auf die Rezeption der westeuropäischen Kultur gerichtete Tätigkeit in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. bereits nicht mehr ungehindert fortsetzen. Die katholische Restauration war bestrebt, die führende Rolle auf religiösem und kulturellem Gebiet zu übernehmen. In diesem immer umfangreicher werdenden Kulturkampf haben die Katholiken die Methoden ihrer Gegner übernommen. Auch sie bemühten sich, sich durch die religiöse und kulturelle Bildung der weltlichen Gesellschalt eine soziale Basis zu verschaffen, indem sie neben dem gesprochenen Wort, der Predigt, auch die Mittel der gedruckten Propaganda in Anspruch nahmen. Den Stoßtrupp der Gegenreformation vertrat auch in Ungarn der Jesuitenorden. Die vom Erzbischof-Kardinal Péter Pázmány geleitete Aktion siegte in beinahe so stürmischer Eile, wie vor einem Jahrhundert die Reformation. Auch die Jesuiten riefen eine ganze Reihe von Bildungsstätten ins Leben. Ihre Kollegien waren komplexe Bildungsinstitutionen, die Schulen, Büchereien und oft Druckereien beherbergten. Auch ihre Bibliotheken waren keine ausschließlichen Schulbibliotheken, sondern zielstrebig zusammengestellte, geistige Arsenale für die Verbreitung der katholischen Theologie und der ihr entsprechenden weltlichen Wissenschaften. Ihre Bibliotheken waren daher einem jeden interessierten Laien geöffnet, und ihre Erwerbungspolitik entsprach der allgemeinen Entwicklung der Wissenschaften. Die Buchkultur verbreitete und vertiefte sich in den führenden Gesellschafts217