Hedvig Győry: Mélanges offerts a Edith Varga „Le lotus qui sort de terre” (Bulletin du Musée Hongrois des Beaux-Arts Supplément 1. Budapest, 2001)
MAYA MÜLLER: Schönheitsideale in der Ägyptischen Kunst
enlocke eingebunden in den Komplex des erotischen Haars. Die Locke dürfte eine phallische Konnotation haben, weil sie, wenn sie als Amulett vorliegt, nicht vom eingerollten Götterbart unterschieden werden kann, der seinerseits ein Symbol der Männlichkeit ist. 80 Im Mittleren Reich findet man sporadisch schöne Darstellungen des Herrschers nach dem Typus des "Athleten mit den schönen Beinen" bzw. "vitalen Triumphators", wobei die Muskelkraft herausgestrichen wird. Im Bereich der Privatplastik treten erstmals Statuetten von Damen der Oberschicht auf, deren Rumpf-Beckenpartie in ausgesprochen sinnlich-attraktiver Weise modelliert ist. Nicht selten sind auch ausladende Hathor-, Locken- und Zopfperücken anzutreffen, die laut Aussage literarischer Texte als sekundäres Geschlechtsmerkmal bzw. sexueller Auslöser bei beiden Geschlechtern galten. Neu sind die geometrisch abstrahierten, idolartigen Weihfigürchen von Frauen, bei denen die Wiedergabe der sexuellen Auslöser die Hauptsache war. Solche Statuetten zeichnen sich oft durch phantasievolle, breite Zopffrisuren aus. Gemäss Spruch 317 der Sargtexte handelt es sich um Frauen, die sich mit den für die weibliche Sexualität und Reproduktion zuständigen Göttinnen identifizieren. Eine neue Variante androgyner Gestaltung tritt an einigen Königsstatuen Amenemhats III. auf, welche mehrere Merkmale männlicher und weiblicher Attraktivität auf sich vereinigen, wobei den breiten Locken- und Zopfperücken besondere Signalwirkung zukommt. Die androgyne Darstellung war nur in ganz bestimmten und in dieser Art auf Amenemhat III. beschränkten Götterrollen möglich, nämlich wenn er, wie ich es etwas kühn vereinfachend formulieren möchte, als "weiblicher Nil" bzw. als "männliche Hathor" erscheinen wollte. NEUES REICH In der frühen 18. Dynastie wurden die künstlerischen Ziele völlig neu formuliert. Das sexuelle Schönheitsideal spielt in der Kunst der 18./19. Dynastie eine sehr viel bedeutendere Rolle als je zuvor und danach. Es erfasst weite Vgl. auch Totenbuch 50, 3 betr. das Abschneiden der Locke (Hornung, a.a.O. (Anm. 74), S. 122); ferner einen riesigen Götterbart bzw. Seitenlocke, die im Hibistempel unter den ithyphallischen Darstellungen des Amun erscheint (K. Mysliwiec, Herr beider Länder. Ägypten im 1. Jahrtausend v. Chr., Mainz 1998, Abb. 66 auf S. 189).