Csaplár Ferenc szerk.: Lajos Kassák / Reklame und moderne Typografie (1999)
Reklame und moderne Typografie
REKLAME UND MODERNE TYPOGRAFIE Damit die moderne Industrieproduktion mit entwickelter Maschinentechnik und nach rationeller Arbeitseinteilung, ohne zu stocken, verlaufen kann, bedarf es der Einhaltung unterschiedlicher sozialer Gesetze und eines gut organisierten Handels. Ein Industriezweig, der ohne Rücksicht auf die Einrichtung unserer Gesellschaft und ohne Beachtung des vermittelnden Handels produziert, wird leicht und zeitweise sicherlich in eine Krise geraten. Der Gleichgewichtszustand unseres gesellschaftlichen Lebens hängt in erster Linie von der rationellen Lösung der Frage von Produktion und Verbrauch ab. Besser: das Tempo der Produktion muß von den Bedürfnissen der Verbraucher reguliert werden. Damit der Markt nicht leer bleibe und in den Betrieben keine Überproduktion entstehe, müssen die Organisatoren der Produktion organisch mit dem Handel zusammenwirken, der den Bedarf, die wirtschaftliche Lage und das Kulturniveau der Konsumenten kennt und vermittelt. Um dem Handel eine freie und vor unangenehmen Überraschungen bewahrte Betätigung am Markte zu ermöglichen, bedarf es sorgfältig bearbeiteter Qualitätsware; damit der Produzent nun billige und gute Ware herstellen kann, benötigt er wiederum Händler, die einen weiten Gesichtskreis haben, die Qualität einer Ware zu erfassen imstande sind und den Interessen des Käuferpublikums dienen. Es stellt sich also die Frage, welches die Wege und Methoden sind, die dem vermittelnden Handel zu einer möglichst restlosen Erfüllung seiner individuellen und gesellschaftlichen Berufung verhelfen. Ein geschäftstüchtiger und guter Händler ist längst daraufgekommen, daß es, wenn er einer der aktiven Faktoren unseres Lebens sein will, nicht ausreicht, in seinem Laden auftauchende Kunden gewissenhaft zu bedienen, sondern daß er ständig auch außerhalb und rationell organisierte Propagandaarbeit betreiben muß. Der Handel in Europa ist im letzten Jahrzehnt auf das Tempo Amerikas ja nun doch aufmerksam geworden. Die Produzenten beginnen ihre Betriebe zu rationalisieren, und der Handel hat in seine Kreise das größte Propagandamittel, die moderne Reklame, eingeschaltet. Heute kommt die Reklame auf das Verbraucherpublikum bereits in hunderterlei Formen zu, und nicht die allerletzte Art der Werbung ist die Anzeige in Tageszeitungen und Zeitschriften. Nach der jüngsten reklamestatistischen Mitteilung in Amerika lesen achtzig Prozent der Käuferschaft Zeitungsanzeigen, vertrauen auf sie und lassen sich durch sie beeinflussen. In Europa besitzt die Reklame noch keine so große Wirkungskraft, allerdings vollzieht sich die Organisation der Produktion und des Verbrauchermarkts in Europa auch nicht hinlänglich bewußt. Der Händler in Europa blickt immer noch mit irgendwelcher überheblicher Eleganz in die Welt und hat das Gewicht der paradoxen Wahrheit noch immer nicht erkannt, daß heute eine Ware nicht gekauft, sondern verkauft wird. Ein Großteil der Händler in Europa ist auch heute erst dann bereit, eine Werbeaktion zu starten, wenn sein Geschäft am Rande des Konkurses steht, und natürlich steckt er im letzten Moment sein Geld dann in eine nicht durchdachte Aktion mit geringem Ertrag. Dabei steht es außer Zweifel, daß eine gut organisierte Werbung immer wieder neues Käuferpotential an den Markt holt. Reklamezettel, vor 1926 / Kat Der Händler muß sich freilich über die Psychologie des Käuferpublikums im klaren sein, und er muß seine Reklamemaßnahmen so anlegen, daß sie solide und sachlich sind und solcherart Vertrauen erwecken. Die Ursache für die Unentwickeltheit der Reklame im heutigen Europa ist nicht allein die Aspektlosigkeit der Händler, sondern leider auch die fachliche Unqualifiziertheit der Reklamemacher. Der Händler, der seine Ware anzeigt, der Grafiker, der die Plakate für die Straße entwirft und die Drucker der typografisch gestalteten Zeitungsanzeigen müssen sich gleichermaßen im klaren sein über den inhaltlichen und formalen Wesenskern der Reklame. Moderne, gute Reklame muß 1. preiswert und leicht herstellbar sein; 2. Wahrheit in der Sache und Suggestivität in der Form enthalten; 3. die Ware nicht anpreisen, sondern ihre Qualität kennzeichnen und allgemein bekanntmachen. Auf den Plakaten muß auf bildliche Stilisierung verzichtet werden, und in den Zeitungsanzeigen gilt es die pseudokünstlerischen Bestrebungen und die Bravourspiele mit den Buchstaben auszumerzen. Die Setzer, die bei der Herausbildung der Zeitungsreklame förderlich mitwirken wollen, sollten sich von den verschiedenen Einflüssen aus der bildenden Kunst befreien und bewußt nach Sach- und Stoffgemäßheit trachten. Reklamemachen ist nämlich keine schöpferische, sondern eine gestalterische Tätigkeit. Reklame ist keine ästhetische Kunst, sie wird vielmehr zwecks praktischer Verwendbarkeit geschaffen. 15