Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Wien-brevier - Gyula Krúdy: Die rote postkutsche fährt los

dem man das Porzellan unterbringen konnte, hat er nicht gesorgt. Die Kaiser kennen nicht die kleinen Sorgen des Bürgerlebens. Woher sollte der Kaiser von Österreich wissen, daß sich die Rechnungen beim Fleischhauer mit der Zeit ganz hübsch ansammeln?« sagte Graf K., dem die Tränen kamen, wenn er auf der Wiener Straße eine Hofkut­sche erblickte. Ein eisgrauer alter Herr, der in der Gegend des Hofburgtheaters die Schauspieler und die Schauspie­lerinnen voll Ergriffenheit zu beobachten pflegte, konnte mit genaueren Einzelheiten dienen. »Es dreht sich um lächerliche zehntausend Forint. Wegen dieser Summe müssen die Möbel der hochverehrten Künstlerin versteigert werden. Der Tag ist schon festgesetzt. Natürlich wagt es niemand, den Kaiser von der Ange­legenheit zu unterrichten. Wer sollte auch so taktlos sein? Am allerwenigsten kann die betreffende teure Dame etwas sagen. So könnte sich wirklich der in der Geschichte bisher beispiellose Vorfall ereignen, daß die Möbel der Künst­lerin versteigert werden.« Alvinczi betrachtete die Spitzen seiner Pantoffeln, dann heftete er seinen Blick auf die Zeiger der antiken Uhr. Die anwesenden alten Freunde wußten, was dieses Zeichen bedeutete, und gingen fort. Später, in der Abenddämmerung, verließ Alvinczi geheimnisvoll den alten Gasthof. Graf Kinsky, der Eduárd Alvinczi am besten kannte, lungerte gewohnheitsmäßig in der Gegend des Gasthofes herum. Und er sagte zu B., einem pensionierten Offizier des Hofes: »Eduárd hat zehntausend Forint in der Tasche. Und er bringt sie der Katarina S., um ihr aus einer Verlegenheit zu helfen.« Mehr sprachen die beiden darüber nicht, dennoch überraschte einige Tage später niemanden in Wien die Nachricht, daß der Kaiser mittels der Polizeibehörde Eduárd Alvinczi aus der Stadt wies, wie man es mit unbeque­men Fremden zu tun pflegt. »Die rote Postkutsche soll Vorfahren«, verfügte Eduárd Alvinczi im alten Gasthof, und war genauso ruhig wie immer im Leben. Nach Ungarn reiste er, wie stets, im Wagen, denn die Bahn wurde von Händlern und anderen Roßtäu­schern benützt. »Leb wohl, Liebe, Wien, unberührte Erzherzogin und meine teure Jugend«, sagte Alvinczi, und in seinem Bart zeigte sich ein schmaler grauer Streifen, der vorher nicht zu sehen gewesen war. Der Kalender zeigte den Tag der heiligen Genoveva, und ein strenger Winter herrschte in jenem Jahr. Aus dem ungarischen von György Sebestyén 204

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