Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Wilhelm Droste: Das kaffeehaus der donaumonarchie

Doch zurück in die Welt. Mit etwas geübtem Auge ist es nach wie vor leicht möglich, nicht nur in nahezu jedem österreichischen oder ungarischen Städtchen, sondern im gesamten Raum der ehemaligen Donaumonarchie die Gebäude ausfindig zu machen, wo sie einst gestanden und gewirkten haben, die unzähligen Kaffeehäuser. Die Spu­ren sind allgegenwärtig, und doch hat fast keines den Druck unseres Jahrhunderts überlebt, vor allem nicht den seiner zweiten Hälfte, auch nicht in Österreich. Wien ist die einzige herausragende Ausnahme, und selbst hier sind traditionsschwere Kaffeehäuser in Mengen vom Erdboden verschwunden oder befinden sich eben in akuter Lebens­gefahr. [...] Dennoch aber ist festzuhalten, dass sich - wenn auch in schwächerer Intensität - überall in der Monarchie dieser Wiener Typ des Kaffeehauses durchsetzen konnte. Darin liegt auch eine politische Sensation. Je selbstbewusster nämlich die Landschaften und gerade auch die Städte außerhalb der österreichischen Kernländer waren, desto pe­nibler achteten sie darauf, keinerlei Anregung aus Wien zu kopieren. Gerade Budapest etwa orientierte sich bei der Suche nach Vorbildern, wie aus einer verschlafenen Stadt eine Metropole hervorzuzaubern sei, ganz explizit immer nur an Paris, vielleicht dann auch in zweiter Linie an New York und London, auf keinen Fall aber an Wien. Selbst für Nagyvárad wäre es eine Schande gewesen, hätte man davon gesprochen, die Stadt sei ein Wien an der Sebes-Körös. Nein, Paris musste es sein, bei Nagyvárad sogar ein Paris ohne Umweg über Budapest, so selbstbewusst und eitel waren dort die Bürger. Dass Budapest dieses Vorbild sichtbar erreicht hat, wird bis auf den heutigen Tag bestätigt, da viele noch immer in dieser Stadt das Paris des Ostens erblicken. Der unglaubliche Reichtum an Kaffeehäusern allerdings - um 1900 soll es mehr als fünfhundert große Kaffeehau­stempel gegeben haben, damit waren die Ungarn drauf und dran, ihre österreichischen Konkurrenten im Moment des Kopierens bereits zu überholen - dieser sagenumwobene Reichtum ist Budapest heute kaum noch anzusehen. [...] Budapest gleicht als Stadt dem Typ des süchtigen Kaffeetrinkers, der es nicht lassen kann. Sie hat seine Nervosität, seinen beschleunigten Herzschlag. Im Gegensatz zu dem geradezu angestrengt vorsichtigen Wien, das selbst die Donau noch in Kanäle legt, bevor sie sich mit ihr trifft, aus prinzipieller Angst vor der Kraft alles unberechenbar Fließenden. Die Bravheit der Namen Wiener Kaffeehäuser verrät es schon. Sie heißen hier Alt Wien, Burg, Imperial, Kalvarienberg, Maria Treu, Ministerium, Rüdigerhof, Schönbrunn, Schwarzenberg, Tirolerhof, Vogelsang. Wie anders klangen da doch die Budapester Kaffeehäuser. Sie waren welthungriger, frecher, schwärmerischer und ließen sich an keine 200

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