Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)
Studien - Wilhelm Droste: Das kaffeehaus der donaumonarchie
In den Pioniertagen des europäischen Kaffeehauses wurden Zeitungen dort nicht nur gelesen, sondern auch geschrieben, redigiert und zusammengestellt. In England formierten sich so überaus bedeutsame Strömungen aufklärerischen Denkens. Es war geradezu naturwüchsig, dass ein Ort, an dem sich durch eine Ansammlung von Zeitungen Nachrichten und neue Gedankengänge konzentrierten, wiederum zur Keimzelle neuen Schreibens und Denkens wurde. Ideal wirkte sich aus, dass dieser Ort eben nicht nur geeignet war, Neuigkeiten passiv zu rezipieren, vielmehr ließ sich das Neue immer gleich auch zum Gegenstand der Debatte machen. Es trafen sich sehr fruchtbar Freunde wie Feinde, es wurde gemeinsam in Streit und Zustimmung nach frischer Wahrheit gesucht, die noch nicht in der Zeitung stand. In England bildeten sich gar gelehrte Kaffeehäuser, in denen authentischer und tiefer gedacht und disputiert wurde als an den Universitäten. Diese allerdings schlossen sich dann mit all ihren Qualitäten schon bald clubartig gegen die Öffentlichkeit ab und erlebten den bekannten Abstieg von der Fachgelehrtheit zur Langeweile. Wien war durchaus kein Vorreiter dieser europäischen Bewegung, die Presse und das Kaffeehaus lebendig zu verkuppeln. Eher zufällig und widerwillig wurde die Habsburger Monarchie in den sechziger Jahren des 18. Jahrhunderts zum Schauplatz einer sehr interessanten Zeitung. In der seit 1714 angeschlossenen Lombardei erschien zehntägig ein Blatt in italienischer Sprache, IL CAFFE, was deutsch sowohl das Getränk als auch den Ort seiner Konsumierung bedeuten kann. Die Zeitung war thematisch universal und in ihrer kritischen Haltung weit mutiger als die gleichzeitig in Unzahl erscheinenden Organe in deutscher Sprache, Bezeichnend, dass diese Zeitung nicht etwa in Wien oder Innsbruck ihre deutsche Übersetzung erlebte, sondern in Zürich. Erst um I 800 wird auch Wien berühmt dafür, über Kaffeehäuser zu verfügen, die in großen Mengen Zeitungen und Zeitschriften zur Auslage bringen, und es wird dann noch weitere hundert Jahre dauern, bis sich in manchen Kaffeehäusern der Stadt literarische Zirkel bilden, die ganz wesentlich das Bild der deutschen Literatur um I 900 nicht nur beeinflusst, sondern geradezu ausgemacht haben. Die Stärke Wiens ist nicht die Schnelligkeit. Im Gegenteil. Die Langsamkeit erlebt in dieser Stadt einen ganz ungewöhnlichen Schutz. Sie wird mit Beharrlichkeit kultiviert. Das Kaffeehaus ist auch ein Institut der Langsamkeit und der Geduld. Deshalb konnten sich in den aufgeregteren, leistungsfähigeren Zentren des Kapitals (etwa in London, Amsterdam, Hamburg) Kaffeehäuser der ruhigen, gelassenen Art nicht dauerhaft behaupten. Sie wurden verdrängt, weil sie die Moral von der Kostbarkeit der Zeit verhöhnten, well sich sich der Zeitökonomie des bürgerlichen Wirtschaftens 196