Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Wilhelm Droste: Das kaffeehaus der donaumonarchie

widersetzten. Es durfte auf Dauer nicht sein, dass in Kaffeehäusern verschwendet wird, was der Kapitalismus der strengen Zucht des Wertes unterwarf. Kein Ort der Welt hat das Kaffeehaus gegen diese Leistungshysterie besser zu schützen vermocht als Wien. Diese erstaunliche Sonderstellung Wiens muss aber wohl noch ein wenig näher erläutert werden. Bisher war viel die Rede davon, wie bahnbrechend der Kaffee und die Kultur um ihn herum Europa veränderten. Und nun soll ausgerechnet Wien der beste Schutzengel dieses aufrührerischen Getränkes und seiner unberechenbaren Gesellig­keit sein?! Zu Anfang wurde behauptet, das Kaffeehaus sei ein Kondensat, gewonnen aus verschiedensten Elementen, die sich zu Beginn unüberbrückbar fremd zu sein schienen. Diese Befähigung zur Kondensierung des Fremdartigen aber ist, wenn Zeit keine Rolle spielt, eine österreichische und unbestreitbar auch eine spezifisch habsburgische Tugend. Fremdes wird geduldig auf ureigene Bedürfnisse zugeschnitten, bis etwas entsteht, das so sorgfältig abge­mischt ist, um in die eigene, sich so ständig verjüngende Identität eingeschmolzen zu werden. So hat das Kaffee­haus in Wien seine klarste Kontur, seinen kompromisslosesten Charakter erlangt. Es spricht sogar Vieles dafür, den Begriff Kaffeehaus ausschließlich für diesen Wiener Typus zu verwenden und bei allen anderen Varianten von Cafés zu sprechen. Schon in der Aufbereitung der Kaffeebohne, in der Mischung der Sorten, im Grad der Röstung ist diplomatisches Ausgleichen in Qualität umgeschlagen. Der schwarze Kaffee in Wien ist nicht so stark wie der türkische, ein wenig heller und verlängerter als der Espresso der Italiener, stärker und aromatischer jedoch als alle nordeuropäischen und transatlantischen Varianten der Verwässerung. Auf der Basis dieses Kaffees wiederum, des kleinen Schwarzen, gibt es mehrere Variationen, die für ein Kaffeehaus in Wien so selbstverständlich präsent sind, dass man mit der simplen Bestellung „Einen Kaffee bitte“ dort verhaltensauffällig wird wie ein Analphabet unter Schriftgelehrten. Kategorisch österreichisch aber ist dann wiederum die Zelebration. Kein Kaffee geht ohne das kleine, meist vierek- kige Tablett in die Welt, keiner ohne das Gläschen Wasser, über dessen Bedeutung wohl ewig gestritten wird. Ge­sichert ist, dass dieses Glas dem Löffel als Ruhebett dient, denn beim Servieren hat er auf dem Glasrand zu liegen. Ob es ratsam ist, das Wasser vor dem Kaffee zu trinken, um Zunge und Magen auf das große Ereignis vorzubereiten, oder nachher, um den genossenen Kaffee verträglicher zu machen, oder ob es vielleicht den Gast nur optisch legi­timieren soll, der am Morgen einen Kaffee getrunken hat, um dann in Seelenruhe bis zum Abend an seinem Tisch 197

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