Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Wilhelm Droste: Das kaffeehaus der donaumonarchie

wo das Strömen der Passanten nicht abreißt, an Bahnhöfen und Kreuzungen ist ihr Feld, Der Orient bietet den Kaffee häufig auf den Straßen und Märkten an, unter freiem Himmel, Mitteleuropa dagegen ist gezwungen, dieses Geschäft zu überdachen. Kein Kaffeehaus wird zwar darauf verzichten, seine Fronten mit Tischen und Stühlen zu flankieren, wann immer der Himmel das erlaubt. Neben dem Regen ist im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts dem Kaffeehausbetrieb jedoch auf der Straße ein noch weit schlimmerer Feind erwachsen, das Auto. Nicht allein, dass es die Flanierwege in schmale Fußgängerpfade verwandelt hat, auch Gestank und Lärm verderben den wahren Kaffeegenuss und zerstören jede Geselligkeit. Wer mit Lust und Muße kam, wird mit Auspuffgasen und Krach mal­trätiert. Vorbei ist die Zeit, als der Gast vom Kaffeestuhl aus noch Pferdedunst und Damenparfum zu riechen bekam. Wenn die Witterung schon die unmittelbare Nähe zu den strömenden Menschen behindert, so hat das Wiener Kaffeehaus doch viel getan, den Kontakt zur Straße zu halten. Riesige Fenster sind obligatorische geworden wie die Lage des Hauses selbst, dessen weit geöffnete Mauern möglichst auf drei Seiten Kontakt zu Straßen und Plätzen halten. Der Kaffeehausgast verkriecht sich nicht vor der Welt, er ist vielmehr an gesicherter Stelle mitten in ihr. Jeder Vorhang, der den Blickfluss von innen nach außen oder von dort hinein behindert, ist ein Saboteur gegen den Geist eines guten Kaffeehauses. Sicht und Helligkeit sind Elixiere seiner Klasse, Düsternis ist ihm zuwider. Der Kaffee lässt sich nicht wie der Wein unbeschadet in Kellerräume verschicken oder wie das Bier in dunkle Stuben der Gemütlich­keit. Er ist so lichtverliebt wie das euphorisch ungebremste Streben des pubertierenden Bürgertums, das düstere Denken des Mittelalters durch strahlende Vernunft endgültig aus der Welt zu tilgen. Auf für die Einrichtung der In­nenräume gilt daher das Prinzip möglichst vollkommener Transparenz. Da gibt es keine Boxen und Séparées, in denen man sich versteckt und verkriecht, wohl aber aus Sitzpolstern gebildete Logen an den Wänden, in denen der Gast sich öffentlich sichtbar abgrenzen kann, ohne sich jedoch dabei auszugrenzen. Es ist viel mehr als ein Zufall, dass sich mit der Verbreitung des Kaffees in Europa die Techniken der Lichterzeugung wie auch die der Vervielfältigung von Schrift und Nachricht revolutionär entwickelten. Wie drei allgegenwärtige Geschwister veränderten Kaffee, Licht und Presse nicht nur das Bild der Städte, sie schafften über neue Formen der Geselligkeit eine neue Qualität von Gesellschaft. Berlin zur Biedermeierzeit hatte Lokale, das kostete der Kaffee so viel wie eine Extrakerze, die von den Gästen häufig verlangt wurde, um die Menge der ausgelegten Zeitungen mit unverletztem Auge lesend auszubeuten. 195

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