Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)
Studien - Wilhelm Droste: Das kaffeehaus der donaumonarchie
Länder, die den Balkan mit dem europäischen Westen und Italien mit der slawischen Welt verklammert. Diese Geografie ist wie geschaffen für ein Getränk, das seine Herkunft dem Orient verdankt, seinen weltweiten Triumphzug aber dem Bürgertum, das sich im Frühstadium seiner Emanzipation vor allem in England und den Niederlanden dieser schwarzen Droge nüchterner Berauschung bediente, sich gegen das einfache Volk der Biertrinker und die feudalen Herrschaften mit ihren edlen Weinen, Sekten und Likören standesgemäß zu behaupten. Die Gäste in den Kaffeehäusern schlafen übrigens, sie schlafen in diesen warmen und dunklen Viehställen, indem sie den unvermeidlichen Sattel unter den Kopf legen. Das ist ebenso natürlich wie Küsse in den Cafés von Paris. Das Kaffeehaus ist Arbeitszimmer, Schlafgemach, Speisezimmer und sogar Badezimmer jedes beliebigen Türken. Die eine Ecke des Kaffeehauses ist unbedingt von einem Barbier besetzt. Das Rasiermesser erfrischt die Wangen, der Kaffee erhebt die Seele. Die Gäste bringen ihr eigenes Essen mit - Knoblauch, Mais, Wassermelonen ... hier wird über den bösen Blick geredet, werden Hammel mit zwei Köpfen geboren und geschehen nicht wenige andere wunderliche Dinge. Hier auch schreibt ein gelehrter Schreiber für ein paar Piaster ein Gesuch, nicht nur an den Gouverneur, nein, an Kemal Pascha selbst, wegen der Pension für einen Invaliden oder wegen Herabsetzung der Steuern. Man kann hier am Morgen ein Täßchen Kaffee trinken und bis zur Nacht Sitzenbleiben. Man kann aber auch gar nichts trinken und sich nur eine Wasserpfeife bestellen .... in der bei jedem Zug das Wasser melodisch blubbert. Das Kaffeehaus steht zu jeder Zeit und für jedermann offen - wie die Moschee und wie der Tod. So hat um 1920 ein türkisches Kaffeehaus ausgesehen, wenn sie denn stimmt, die Beschreibung llja Ehrenburgs aus seinem Buch Visum der Zeit. Auf den ersten Blick ist dieser Ort durch Welten getrennt von dem eines Wiener Kaffeehauses, und dennoch hat dieses in vielerlei Hinsicht orientalische Erbschaft angetreten, und das nicht nur, weil die ersten Kaffeehausbetreiber meistens dem Orient entstammten. Auch das Kaffeehaus in Wien will ein universaler Lebensraum sein, bei Tag und bei Nacht, für alle Zwecke benutzbar und lieber noch ein Ort der souveränen Zwecküberwindung, der Muße und des wachen Müßiggangs. Mag es hier auch keine Barbiere und Badewannen für die Gäste geben, so ist doch angestrebt, ihnen die Selbstverständlichkeit eines zweiten Zuhauses zu bieten, einen Raum, der von der Intimität eines Kusses bis zum kaltschnäuzigsten Geschäftsabschluss alles ermöglicht. Um bequem nutzbar zu sein, suchen die Kaffeehäuser die Nähe der Menschen. Wo diese in Mengen verkehren und sich das Leben turbulent verknotet, da muss der Standort des Kaffees verankert sein. Auf großen Plätzen der Innenstadt, 194