Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Wilhelm Droste: Das kaffeehaus der donaumonarchie

WILHELM DROSTE: DAS KAFFEEHAUS DER DONAUMONARCHIE ALS SICHTBARE, WEIL HISTORISCH GEWACHSENE UTOPIE Es fällt mir ein, daß ich mich an Ihr Gesicht eigentlich in keiner bestimmten Einzelheit erinnern kann. Nur wie Sie dann zwischen den Kaffeehaustischen weggingen, Ihre Gestalt, Ihr Kleid, das sehe ich noch. (Franz Kafka in seinem zweiten Brief an Milena Jesenká im April 1920) Das Kaffeehaus ist die schönste Spur der Donaumonarchie. Sie hat sich nicht nur bis in unsere Tage hinein gerettet, sondern ist an einigen Orten leibhaftig benutzbar geblieben. Einen liebenswerteren Abdruck ihrer starken, lebens- zugewandten Seiten hat dieses sonderbare Imperium nicht hinterlassen. Das Wort Kaffeehaus hätte nicht seine auratische Kraft, wäre es nicht vor allem in der Spätzeit der Habsburger, als diese sich auf die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn einließen, zu seiner ganzen Bedeutungsfülle gelangt. Das Kaffeehaus schien zu beweisen, wie durchaus möglich es sein könnte, verschiedenste Stände und Klassen, Rassen und Geschlechter, Parteien und Nationen unter einem Dach gesellig zu vereinen, ohne damit zugleich Bürgerkrieg und Selbstzerstörung Tür und Tor zu öffnen. Hier schien sich fast zu vertragen, was sich vor der Kaffeehaustür auf der Straße und erst recht auf den zahllosen Schlachtfeldern nur zu hassen und zu morden wusste. Mit den Kaffeehäusern schaffte sich die Monarchie Raum. Raum, in dem sich das Fremde mit aller Vorsicht be­schnuppern und zugleich das Zusammengehörige mit aller Kraft organischer zusammenwachsen konnte. Raum für das Anbahnen von Begegnungen jeder Art und Intensität, Raum für Distanz und Nähe. Mit der Erfindung des Kaffeehauses in seiner klassischen Form gelang der Donaumonarchie , was ihr politisch nicht mehr geglückt ist: die lebensfähige Integration des Widersprüchlichsten. In seinen weiten, großzügigen Räumen wurde der wilde Osten mit dem aufgeräumten Westen, der heißblütige Süden mit dem stets räsonierenden Norden wenn nicht versöhnt, so doch umgangsfähig gemacht. Das Kaffeehaus selbst ist ein wundersames Kondensat von Einflüssen aus allen Himmelsrichtungen. Es sind nicht die paar Säcke Kaffee gewesen, die nach der Vertreibung der Türken in Wien zufällig liegen geblieben sind und der Legende nach zum Grundstock des ersten Wiener Kaffeehauses wurden. Es ist vielmehr die Achsenlage der habsburgischen 193

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