Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)
Studien - Kornél Zipernovszky: Wem hat Wien den Charleston zu verdanken?
einer Band in Budapest), sondern sagte nur, er trete mit einem Landsmann von Briggs gemeinsam auf. Briggs bot Chappy kurz darauf ein Engagement an, womit sich ihm der Weg zur Weltkarriere eröffnete. Der Afroamerikaner Briggs (1899-1991) kam 1919 nach England und arbeitete ab da in Europa, auch Chappy war Mitglied seiner in Berlin auftretenden Band, seine damaligen Aufnahmen, die in Europa für bahnbrechend gehalten wurden, sind auch heute noch von großem Wert. Ist es möglich, dass Chappy den Charleston mit dem Black Bottom verwechselte, als er sich erinnerte, Granstaff habe den Tanz 1921 in Europa bekannt gemacht? Der Durchbruch des neuen Tanzes ist erst auf Mitte des Jahrzehnts zu datieren und wird am ehesten mit der Revuepremiere von Josephine Baker in Paris in Verbindung gebracht. Bei dem von Chappy konsequent, jedoch irrtümlicherweise als Grenstuff bezeichneten Posaunisten, der ihm den Charleston beigebracht hat, handelt es sich um Earl B. Granstaff. Noch in den 19 I Oer Jahren machte er mit dem Minstrel-Programm von Perry George Lowery Tourneen durch die Südstaaten und kam dann zum Ende des Krieges nach Europa. Granstaff, der ähnlich wie Chappy Tanzmusiker war, tanzte auch selbst, ja, war sogar Choreograph, Regisseur und Produzent einer Pariser Revue im Stil von Bakers La Revue Négre, die allerdings nur eine einzige Aufführung erlebte.5 Trotz kleinerer Ungenauigkeiten darf man Chappy durchaus Glauben schenken. Er ist wohlwollend, aufrichtig und um Objektivität bemüht, insofern dies von unterhaltsamen Memoiren, die das Lokalmilieu beschreiben, überhaupt zu erwarten ist. Auch wenn die Akademie die Berechtigung des Titels seines Buches, das schon beinahe Dokumentwert besitzt, in Abrede zu stellen versuchte: „Das im Titel des Buches vorkommende Wort «Jazz» entspricht selbstverständlich nicht der Wirklichkeit, doch ist dies keineswegs verwunderlich. Dies liegt in der ganz bis in die sechziger Jahre andauernden, bereits erwähnten irrtümlichen Praxis begründet, die die Tanzmusik und den Jazz in jeglicher Hinsicht, selbst in der Benennung, vermischte.’’6 Obschon die Eile und die Publikationsumstände der Kriegsjahre tatsächlich ihre Spuren in Chappys Memoiren hinterlassen hatten, waren seine wesentlichen Behauptungen unbestritten. Die Erinnerungen des Autors waren zuverlässig, und sie blieben uns als wichtige Quelle erhalten, nur ist bedauerlich, dass die Fortsetzung des Buches im Feuer des Krieges im wahrsten Sinne des Wortes verbrannte.7 Mitte der zwanziger Jahre war der Austausch zwischen Wien, Bratislava8, Warschau und Budapest selbstverständlich, doch trafen auch ständig Amerikaner in der Region ein. Von der Wiener Sensation, von Briggs, hatte Chappy bereits in Budapest gehört, doch die wichtigste Station des reisenden Zirkus dieser mitteleuropäischen Jazzepoche war Berlin, im Vergleich dazu waren Wien und München von weit geringerer Bedeutung. London war selbstverständlich 188