Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Kornél Zipernovszky: Wem hat Wien den Charleston zu verdanken?

KORNÉL ZIPERNOVSZKY: WEM HAT WIEN DEN CHARLESTON ZU VERDANKEN? DIE ZEIT DES JAZZ MIT UNGARISCHEN AUGEN Wenn man Chappy Glauben schenken darf, dann machte Wien dank eines ungarischen Schlagzeugers mit dem Charleston Bekanntschaft. Dieser Schlagzeuger war Chappy selbst, mit anderem Namen Jenő Orlay (Obendorfer), und auch die Geschichte hinterließ er der Nachwelt. Seine Karriere begann er als Schauspieler und Tänzer, später wurde er in fernen Landen ein berühmter Orchesterleiter. Seine Memoiren sind ein seltenes Dokument einer Welt, in der die Unterhaltungsmusik zwar populär war, doch kaum an die hohe Kunst heranreichen konnte. Die Geschich­ten von Chappy enden dort, wo die Ansprüche des Jazz als Vortragskunst anfangen. Zur Zeit der folgenden Ge­schichte aber war er noch ein - auch als Schlagzeuger einsetzbarer - Tänzer in Budapest. Damals spielte nämlich eine großartige Negerband im Párisién und verwöhnte das Publikum geradewegs mit ihrer hervor­ragenden Musik. Ganz Budapest war von der Musik der Palm Beach Five begeistert ... Wir lösten sie ab, und das Publi­kum war von dem Wechsel keineswegs hingerissen. Die Neger brachten den uralten Rhythmus aus der Heimat des Jazz mit - sie hatten den Jazz im kleinen Finger ... hier in Budapest war er noch kaum bekannt. Natürlich, wir konnten nach den Negern einfach nicht gefallen!1 Das Programm - und damit Chappy - rettete die Tatsache, dass sich die Band Palm Beach Five auflöste und ihr Posaunist sein Glück in Budapest versuchte. Dieser großartige Typ war es, der 1921 den damals neumodischen amerikanischen Tanz nach Europa brachte, den Charleston. Als er dann sah, wie gut ich mich bewegte, fing er an, sich mit mir zu beschäftigen, und bald lernte ich von ihm alle Figuren des neuen Tanzes. Wir beide waren die Attraktion des Programms: BLACK AND WHITE. Granstaff, der Neger, in weißem Frack mit weißem Zylinder und ich, natürlich von Kopf bis Fuß in Schwarz.2 Vor Ende der Saison reiste Chappy über Ostern nach Wien, um seine dort engagierte Freundin, die blonde polni­sche Tänzerin Lucy, zu besuchen. Kurz nach seiner Ankunft ging er mit ihr zum Tanztee in die Weihburg-Bar, wo der amerikanische Trompeter Arthur Briggs mit seiner Band spielte. 186

Next

/
Thumbnails
Contents