Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Júlia Lenkei: Untergetaucht in Wien - Béla Balázs

Nation (denn auch der Jude ist nicht ohne Nation), doch auf die Lyra meines Herzens sind ungarische Saiten ge­spannt, und mit ungarischem Gesang erzähle ich den Schmerz. Wenn mir unter meinen Füßen der ungarische Boden genommen wird, dann finde ich auf der Wolke der ungarischen Sprache und ungarischen Musik meine Unterschlupf. Die Worte werden sich unter mir zu Boden verdichten: das wird meine Heimat."24 ,,‘Zug’raster' bist du, den Wien nie aufnimmt" - so warnt József Lengyel.25 Später schrieb auch er, ebenso wie Andor Gábor oder Andor Németh in deutscher Sprache, für deutsche Blätter. Die Laufbahn von Béla Balázs ist allerdings eine besondere: Als Broter­werb schrieb er die ungarischen Zeitungen der Nachfolgestaaten voll (außer in Wien publizierte er seine Glossen, Gedichte, Novellen auch in Zeitschriften in Pressburg, Klausenburg und Kaschau, er hielt - in ungarischer Sprache und mit ungarischem Bezug - unzählige Vorträge und schrieb zahlreiche Aufsätze mit literarischer und ästhetischer Thematik, ja übernahm zuweilen auch gewisse nicht ungefährliche illegale politische Aufgaben26). Er nahm von Anfang an am literarischen Leben und Theaterleben des Landes teil, das ihn aufgenommen hatte, er knüpfte Freundschaften und erhielt ständig neue Aufgaben. Seine Wiener Gesellschaft bestand, was die Ungarn anging, am ehesten aus den früheren Mitstreitern des Sonntagskreises, und natürlich aus dem Umfeld der Bécsi Magyar Újság [Wiener Ungari­sche Zeitung] (so stritt er sich in ihr auch mit Kassák in einer Folge von Artikeln zum Aktivismus), darüber hinaus aus Mitgliedern der intellektuellen Elite Wiens. Auch früher besaß er bereits Beziehungen, so etwa durch die jahrelan­gen, noch weit vor der Emigration beginnenden Vorbereitungen zu seiner Premiere an der Neuen Wiener Bühne im Jahr 1920, oder seine Freundschaft zu dem österreichischen Komponisten Egon Wellesz, die im Übrigen ihren Anfang in Pest genommen hatte, doch in Wien ihre Früchte trug. Wellesz erinnert sich folgendermaßen: „Balázs gehörte zu den Menschen, die unerwartet aufzutauchen pflegen, einige Tage in Wien bleiben und dann sagen: Jetzt muss ich nach Madrid fahren, um mit einer Freundin zu sprechen. Ein anderes Mal nach Deutschland, um einen Theaterintendanten zu treffen und die Premiere eines Stückes zu besprechen. Bei einem solchen Besuch skizzierte Balázs das Szenario des Balletts Das Wunder der Diana, das ich noch vor dem Ersten Weltkrieg komponiert hatte. Balázs war ein wunderbarer Erzähler, es steckte in ihm etwas von den antiken Volksdichtern.”27 Wellesz übertreibt natürlich, denn Balázs war nicht ein so flotter Weltbürger, schon allein aus materiellen Gründen konnte er es in dieser Zeit nicht sein, doch das Wesentliche seiner Haltung und insbesondere die Aura seiner Persönlichkeit vermit­telt er deutlich.28 In Wien galt er als eine derart charakteristische Figur, dass er sogar in einem literarischen Werk Erwähnung fand.29 Hugo Bettauer, der Verfasser dieses Romans, schreibt über die ungarischen Exilschriftsteller: 145

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