Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - István Fried: Ungarische schriftsteller in Wien

Klassik, der modernen Literatur der Jahrhundertwende und des Traumes von einem lebbaren Leben in die Welt ent­sendete. Die Mitglieder der Familie Wiesenthal, deren Töchter den österreichischen Walzer auf das Niveau des klassi­schen Balletts erhoben, sind Verwandte Márais, Helden seiner Zeitungsartikel und seines autobiografischen Romans, die Repräsentanten einer sympathischen Lebensform. Die Erinnerung an das einstige Künstlerhaus in der Reichsgasse begleitet Márai ein Leben hindurch. Hier in Hietzing begegnete er den Schriftstellern der Gruppe Jung-Wien, von denen sich der eine oder andere in die Wiesenthal-Mädchen verliebte. Bei Márai sind die Erlebnisse der Kindheit und Jugend als bedeutend zu bezeichnen: Für ihn sind Altenberg, Alfred Polgar oder Hugo von Hofmannsthal nicht nur „Literatur", sondern auch eine Haltung, die in ihr Ausdruck findet und die er als „Kultur“ bestimmt. In einem Tagebuch­eintrag aus dem Exiljahr 1950 schreibt er: „Lektüre, Zweig: Die Welt von Gestern. Ich lese das mit großer Unruhe. Alles, was er schreibt, weil es mich mehr berührt als je zuvor: diese untergegangene Welt war mein Leben. Vor mei­nen Augen ist eine Kultur zugrunde gegangen. Man sieht nur mehr ihre lockeren Rahmen, ohne Inhalt." Der skurrile Jurist und Onkel ist eine der rätselhaften Gestalten der Bekenntnisse eines Bürgers, sein Budapester Pendant ist Béni Grosschmied, der berühmte Jurist und Professor. Diese beiden Figuren, die die Tugenden der alten Welt fachlich und menschlich verkörpern, repräsentieren den intellektuellen Widerstand, der sich nicht um das modisch Zeitgemäße kümmert, da er sich dem juristischen Denken, das die gesellschaftlichen Werte bewahrt, verpflichtet fühlt. In einer anderen Weise erscheint die Wiener Verwandtschaft in dem autobiografischen Roman Fekete éveim [Meine schwarzen Jahre] von György Szántó. Dort repräsentiert der steinreiche Onkel, der einen Gegensatz zu dem Vater, einem kleinstädtischen Lehrer, darstellt und immer um die Unterstützung der Familie bemüht ist, tatsächlich die große Welt. Der junge Mann, der die Künstlerlaufbahn einschlagen will, bewundert die Großzügigkeit des Onkels, seine bürgerliche Attitüde, während er sich - als Anhänger der expressionistischen Malerei - auf eine Ausstellung vorbereitet. Infolge einer Kriegsverletzung erblindet Szántó, und so bleibt das Wiener Erlebnis sein Werk von I 934, die Verewigung der Wiener Verwandtschaft. Unter den ungarischen geistigen Bestrebungen um die Jahrhundertwende findet sich auch die demonstrative Abkehr von Wien - und im Allgemeinen von der deutschsprachigen Kultur -, wobei das Interesse an Frankreich und Eng­land in den Vordergrund rückt. Von den Schriftstellern der ungarischen Moderne jener Zeit verkündeten nur sehr wenige gewissermaßen programmatisch, die österreichische Moderne aus Wien für die ungarische Kultur vermitteln zu wollen. Plausibel war, dass die angesehene, populäre Tageszeitung Pester Lloyd von den österreichischen und 123

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