Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)
Studien - Julianna WernItzer: Wege durch die lücken des unsichtbaren
des Franz-Joseph-Landes. All diese Motive sind in Ransmayrs Roman bereits Fakten der Vergangenheit, der Geschichte, die der Fiktion untergeordnet sind. Er blickt auf diese Geschichten aus der Perspektive der Postmoderne zurück und stellt die Frage: „Wozu ist all das gut?" oder ein wenig anders formuliert: „Was sollen wir mit unserer Vergangenheit anfangen?’’ Die Allusionen und Zitate (zeitgenössische Tagebücher, Briefe, Aufzeichnungen) erhalten eine andere Funktion, sie relativieren und hinterfragen die Ereignisse in der Gegenwart, das heißt die Geschichte Mazzinis beziehungsweise deren Erzählbarkeit, und all dies gilt auch umgekehrt: Mazzinis Geschichte und seine fiktiven Aufzeichnungen (die der Ich-Erzähler rekonstruiert) fragen nach der Vergangenheit und verstärken im Leser das Gefühl der Unerzählbarkeit der Geschichte (indirekt der Wirklichkeit) in der Relation Gegenwart und Vergangenheit. Jókai fragt - während sein Held auf dem Weg zum Mittelpunkt der Erde ist - bei der Begegnung mit der Vergangenheit fortwährend nach der Gegenwart, noch dazu nach der Gegenwart seiner eigenen Zeit: „Was sollen wir mit dem Wissen anfangen?’’, „Was sollen wir mit dem Heute anfangen?”, wie kann man sein Wissen zum Kennenlernen des Unbekannten nutzen. Für ihn steht außer Zweifel, dass es möglich ist, die Wirklichkeit kennen zu lernen. Jókai und sein Held stehen noch „vor etwas", und wie der Roman erahnen lässt: Vielleicht ist auch die Möglichkeit der Rückkehr gegeben.18 In Ransmayrs postmoderner Robinsonade verschwindet der Held in der Geschichte, er geht in seiner eigenen Gegenwart verloren, doch auch in seiner persönlichen Vergangenheit und in der Historie. Vergebens die angeführten Dokumente, die Möglichkeit, dass man die Wirklichkeit kennen lernen kann, wird hier zweifelhaft. „Ich habe sein akzentfreies Vokabular damals als Teil einer pointensüchtigen Konversation mißverstanden - zumal auch die Dinge, von denen er sprach, in Anna Koreths Kreis seltsam und kauzig erschienen. Er entwerfe, sagte Mazzini, gewissermaßen die Vergangenheit neu. Er denke sich Geschichten aus, erfinde Handlungsabläufe und Ereignisse, zeichne sie auf und prüfe am Ende, ob es in der fernen oder jüngsten Vergangenheit jemals wirkliche Vorläufer oder Entsprechungen für die Gestalten seiner Phantasie gegeben habe. Das sei, sagte Mazzini, im Grunde nichts anderes als die Methode der Schreiber von Zukunftsromanen, nur eben mit umgekehrter Zeitrichtung. So habe er den Vorteil, die Wahrheit seiner Erfindungen durch geschichtliche Nachforschungen überprüfen zu können. Es sei ein Spiel mit der Wirklichkeit.“ (Ransmayr 20-21) Ransmayr nähert sich der Story mit verbittertem Skeptizismus: Für Mazzini, der die Begeisterung des Pero Galiba „erbt“, gibt es keine Rückkehr in die Gegenwart mehr. Der Ich-Erzähler und der fiktive Held befinden sich gleichermaßen in einem Zustand „nach etwas“. 114