Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Julianna WernItzer: Wege durch die lücken des unsichtbaren

Zwischen Tagebüchern Den Rahmen von Jókais Roman bildet die Briefganspost von Pero Galiba, sein Tagebuch. Auch bei Ransmayrs Geschichte kann von einer Rahmenstruktur gesprochen werden, insofern er versucht, die Geschichte des ver­schwundenen Mazzini - ein später Verwandter eines der Matrosen, der versucht, den Weg seines Uronkels zu bereisen - aus den Aufzeichnungen des „Ich-Erzählers“ und späten Nachkommens, seinem Tagebuch, zu rekonst­ruieren. Der Erzähler Ransmayrs, der die Spur des Verschollenen in dessen Aufzeichnungen sucht, sich gleichzeitig in die Vergangenheit der Geschichte und die Gegenwart des Romans „hineinschreibt“. Der letzte Satz Ransmayrs ist von ebenso tragischem Ausklang wie jener Jókais; sein Erzähler bleibt genauso alleine wie Pero Galiba: „Mit meiner Handfläche schütze ich das Kap, bedecke die Bucht, spüre, wie trocken und kühl das Blau ist, stehe inmitten meiner papierenen Meere, allein mit allen Möglichkeiten einer Geschichte, ein Chronist, dem der Trost des Endes fehlt.“ (Ransmayr 275) Die Einsamkeit, das Verschwinden, das Auf-sich-gestellt-sein sind zentrale Motive beider Werke, sowohl Jókai als auch Ransmayr erheben die Gattung des Tagebuchs zum Rahmen des Romans. So ist das Ver­schwinden das zentrale Motiv von Ransmayrs Roman, eine der Antriebsfedern der Romankonstruktion; wie beim Lösen eines Kreuzworträtsels versucht der Ich-Erzähler, das Geheimnis Mazzinis zu entschlüsseln. „Mazzinis spitz- bergische Aufzeichnungen und Tagebücher, die mir Anna Koreth überließ, wurden mir schließlich so vertraut, daß ich auch die verworrensten Passagen daraus mühelos aus dem Gedächtnis zitieren konnte. (...) Noch immer ist mir die Erinnerung an jenen Märztag unbequem und lästig, an dem mir plötzlich bewußt wurde, daß ich längst in die Welt eines anderen hinübergewechselt war; es war die beschämende, lächerliche Entdeckung, daß ich gewisserma­ßen Mazzinis Platz eingenommen hatte: Ich tat ja seine Arbeit und bewegte mich in seinen Phantasien so zwangsläu­fig wie eine Brettspielfigur.“ (Ransmayr 25) Obschon die Gattung des Tagebuches überaus vielfältig ist und häufig voneinander abweichende Werke umfasst, formuliert die sich in der Benennung bergende Bestimmung einen für alle geltenden Zwang in einem Prinzip: Sie betrachtet das Datum als Einheit des Niedergeschriebenen, des Nieder­schreibens, und ist als solches linear angeordnet. Dem Schreiben als Akt kommt bei dieser Gattung eine besondere Rolle zu. Das Schreiben des Tagebuches ist mit dem Sprechakt verwandt, zu dessen Gültigkeit es allein der Über­zeugung des Lesers bedarf, dass das Werk (zumindest tendenziell) das Ergebnis einer Arbeit ist, die von Tag zu Tag fortgesetzt wird und deren hauptsächliches Ordnungsprinzip der Kalender darstellt. Das Tagebuch bestimmt für den Leser die Möglichkeit dieser linearen Lesart. Über die größte Bedeutung unter den Erwartungen der Leser verfügt 115

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