Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Julianna WernItzer: Wege durch die lücken des unsichtbaren

„Es kann nur wenig Spannenderes geben, als das Entdecken neuer Länder. Unermüdlich erregt das Sichtbare das Combinationsvermögen über die Configuration, und die Phantasie ist rastlos beschäftigt die Lükken des Unsichtba­ren zu ergänzen." - schreibt Julius Payer in seinem Buch (Ransmayr 217). Im Mittelpunkt der Romane von Jókai und Ransmayr stehen zwei Menschen (Pero, Mazzini), für die das Ergänzen der „Lükken des Unsichtbaren“, das Eindrin­gen in einen unbekannten Raum, das Spiel der Zusammenfügung von Formen einen Reiz darstellt. Demzufolge sind die Beschreibungen ausführlich und detailliert. Jókai gestaltet das sich in der Geschichte bergende Fantastische, die Möglichkeit des Realen zu einer Lesart des Wahrscheinlichen, wobei er den Leser die Existenz der Welt unter dem Eis, die Entstehung der neuen Erde oder die Wiederbelebung des mehrere tausend Jahre in Stein geschlossenen Menschen glauben macht. Die mehrfach indirekte Schreibart Ransmayrs, die mit den Elementen des Wahrscheinli­chen nach der Wirklichkeit fragt, hinterfragt schließlich die Wirklichkeit selbst. Im Roman Jókais begegnet die unauf- gedeckte Vergangenheit der Gegenwart und weist in die Zukunft.13 Der Roman Ransmayrs beginnt mit einer Frage, in der er sogleich das Wort Abenteuer aufgreift und auf einer allgemeinen Ebene die Zweischneidigkeit der Tätigkeit von Reisenden und Entdeckern sowie seine Skepsis gegenüber Entdeckungen formuliert: „Was ist bloß aus unseren Abenteuern geworden, die uns über vereiste Pässe, über Dünen und so oft die Highways entlang geführt haben? [...] Wir haben uns nicht damit begnügt, unsere Abenteuer einfach zu bestehen, sondern haben sie zumindest auf Ansichtskarten und in Briefen, vor allem aber in wüst illustrierten Reportagen und Berichten der Öffentlichkeit vor­gelegt und so insgeheim die Illusion gefördert, daß selbst das Entlegenste und Entfernteste zugänglich sei wie ein Vergnügungsgelände, ein blinkender Luna-Park; die Illusion, daß die Welt durch die hastige Entwicklung unserer Fortbewegungsmittel kleiner geworden sei und etwa die Reise entlang des Äquators oder zu den Erdpolen nunmehr eine bloße Frage der Finanzierung und Koordination von Abflugzeiten. Aber das ist ein Irrtum! [...] Vergessen wir nicht, daß eine Luftlinie eben nur eine Linie und kein Weg ist und: daß wir, physiognomisch gesehen, Fußgänger und Läufer sind.“ (Ransmayr 9) Was aber bedeutet es, Fußgänger zu sein? Was ist es, dass im Menschen des 19, Jahr­hunderts noch vorhanden ist, noch ein einheitliches Ganzes bildet, und das der Mensch des 20. Jahrhunderts bereits endgültig verloren hat? Die effekthascherische Oberflächlichkeit in diesem blinkenden „Luna-Park” des Weltdorfes ist das perfekte Gegenteil von Jókais Welt. Der Glaube an das symbiotische Verhältnis von Mensch und Natur, daran, die Natur kennen lernen und erobern zu können, und vor allem an das Positive all dessen geht im folgenden Jahr­hundert endgültig verloren. 111

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