Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)
Studien - Julianna WernItzer: Wege durch die lücken des unsichtbaren
Gusztáv Moesz in einem bedeutenden Teil seiner Werke sechshundert Pflanzenarten nach, Minerale gibt es vermutlich weniger, Tiere hingegen sehr viel mehr). Es lohnt, seine Landschafts- und Interieurbeschreibungen zu betrachten, in denen die drei „Reiche“ immer zusammen erscheinen.“7 Demgegenüber ist das Naturbild Ransmayrs im 20. Jahrhundert entmythologisiert, ein Phänomen der Minimal-Art. Der Wunsch nach Entdeckung treibt nicht den Autor, sondern nur seinen Helden voran. Die vom Autor zitierten zeitgenössischen Tagebuch- und Briefausschnitte zeigen die Unmöglichkeit einer Rekonstruktion der Geschichte, die Entfremdung der Welt. Vergleicht man die romantische, überaus fantasievolle und reiche Schreibkunst Jökais mit der streng postmodernen, kargen Schreibweise Ransmayrs und untersucht man die Intentionen, so stößt man neben den offensichtlichen Unterschieden doch auch auf ähnliche Züge. Ihr Ausgangspunkt, das Rohmaterial ist dasselbe, denn beide Autoren greifen unmittelbar auf die Geschichte des zurückgelassenen Matrosen zurück und erschaffen von diesem Motiv ausgehend ihren eigenen „Helden“ in der Person von Pero Galiba beziehungsweise Josef Mazzini. Galiba ist im Ungarischen ein sprechender Name, der soviel wie Schlamassel bedeutet, doch ist in ihm spielerisch auch das Wort „liba“ (dtsch. Gans) versteckt, was hier auch auf die Briefganspost verweist; der Name Mazzini hingegen ist aus dem 19. Jahrhundert entliehen. Die Protagonisten der beiden Autoren können auf den toten Schiffsmaschinisten Otto Krisch zurückgeführt werden; Die Expedition, die mit einer Person weniger heimgekehrt war, mochte Jókai den Gedanken von dem dort vergessenen Matrosen suggerieren, doch auch Ransmayr verwendet die Story. Der Held Jökais, Pero Galiba, ist ein junger Ungar aus Dalmatien, der im Roman später nur als Pero auftaucht. In seinem Buch zählt Julius Payer die Teilnehmer der Expedition mit Namen und Geburtsort auf. In Ransmayrs Roman erscheint die Aufzählung der Schiffsbesatzung - von Payer entliehen - in visueller Weise, er schmuggelt allerdings zwei spätere Nachkommen hinein, womit er in der Gegenwart den Unterschied zwischen der Vergangenheit der Expedition und der Gegenwart Mazzinis auslöscht. Ransmayr stellt seinen Protagonisten in ein verwandtschaftliches Verhältnis mit einem der Matrosen, der in der Namensliste vertreten ist. „Die Metamorphisierung Mazzinis, das innere Bild der herauskristallisierten (Eis)Welt entsteht in jenem weißen Fleck der Wirklichkeit, den das zufällige und tatsächliche Zurücklassen eines der Matrosen der Expedition ausfüllt: Mazzini nimmt mit seiner Wandlung am entsprechenden Ort und zur entsprechenden Zeit, im Augenblick der Kristallisierung den Platz des zurückgelassenen Matrosen ein.“8 Beide Autoren suchen nach möglichen Wegen zwischen den wirklichen und den fiktiven Welten: Jókai führt seine Leser aus der Wirklichkeit in eine von ihm erschaffene Welt der Fantasie, denn Pero setzt seine abenteuerliche Reise in der Tiefe der Erde durch verschiedene 107