Török Dalma (szerk.): Mantel der Traume. Ungarische Schriftsteller erleben Wien, 1873-1936 (Budapest, 2011)

Studien - Julianna WernItzer: Wege durch die lücken des unsichtbaren

Zeiten der Erdgeschichte fort und gelangt von dort zurück an die Oberfläche des Franz-Joseph-Landes. Christoph Ransmayr sucht für Mazzini und den Leser den Durchlass zwischen möglichen Textwelten, die vom gleichen Thema handeln, sich jedoch aus Texten verschiedener Qualität und Funktion - Dokumente, fiktive und wirkliche Tagebü­cher - als Mosaik zusammensetzen. Ebenso wie Jókais Held und der Ich-Erzähler im Roman Ransmayrs benannte auch die Expedition bei der Entdeckung des neuen Erdteils alles, was sie eroberte: Der Held Jókais gibt all den Ge­schöpfen, denen er während seiner Abenteuer begegnet, Namen, und Ransmayr nennt die Aufzeichnungen Mazzinis einen Roman. Die Rolle des Namensgebers unterscheidet sich aber je nach schriftstellerischer Intention in bedeu­tendem Maße: Während sie zur Zeit der Romantik ein schicksalhafter, nahezu obligatorischer Stempel war, die Gewissheit der Existenz (bei Jókai: der Bär Babi, Nahama; bei Payer: der nördlichste Teil des Franz-Joseph-Landes, Petermannland9, das entfernteste Kap Wien, das nördlichste Kap des Wilczek-Landes Kap Pest10 und so weiter), reflektiert Ransmayr - aus dem 20. Jahrhundert zurückblickend - mit einer ganzen Portion Ironie und Skeptizismus über die Entdeckung an sich und den Prozess der Namensgebung, die Sicherheit und Gewissheit suggerieren soll, indem er die Abenteuerlust der Entdecker den menschlichen Prüfungen der Entdeckungen gegenüberstellt: „Payer streut seine Namen wie Bannsprüche über den Archipel, forscht dabei in seinen Erinnerungen und findet immer neue Städte und Freunde, die er im Eis verewigen will, und vergißt dabei doch nie, auch dem Herrscherhaus, der Kunst und der Wissenschaft zu huldigen [...] Die Litanei der schönen Namen wird mit jedem Tag länger - Insel Klagenfurt, Erzherzog-Rainer-Insel, Cap Flume, Cap Triest, Cap Buda Pest, Cap Tyrol und so fort - Payers Begleiter aber werden täglich schwächer.“ (Ransmayr 219) Abenteuer, Reisen, Helden im Prä- und Postzustand Ein Abenteuerroman? Ein Reise- oder Tagebuchroman? In welche Gattung sind diese beiden Werke einzureihen, beziehungsweise sind sie überhaupt einzureihen? Die genauere Gattungsbestimmung der Romane ist natürlich nicht nur aufgrund der Klassifizierung, der Erkenntnis von Bedeutung. Die Frage der Gattung ist insofern wichtig, als dass sich darin die Erwartungen der Leser sammeln und manifestieren, die für uns den Sinn und die Bedeutung von Wer­ken beeinflussen und bestimmen, die gewisse identische Züge aufweisen. Sowohl Jókai als auch Ransmayr verwen­den die Topoi des Abenteuerromans, des Reiseromans und des Tagebuches beziehungsweise stehen sie, wenn auch auf jeweils andere Art und Weise, mit diesen Topoi im Dialog. Der Abenteuerroman, seit der Antike eine beliebte 108

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