Körmöczi Katalin szerk.: Führer durch die historische Ausstellung des Ungarischen Nationalmuseums 3 - Vom Ende der Türkenkriege bis zur Millenniumsfeier - Die Geschichte Ungrans im 18.-19. Jahrhundert (Budapest, 1997)

SAAL 14. Dulden, Ausgleich und Aufschwung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts (Katalin Körmöczi - Edit Haider)

oder ins Irrenhaus weggesperrt. Der ein­zigen großen Gestalt der großen Epoche, dem auf heimatlichem Boden gebliebe­nen Ferenc Deo* (1803-1876) (Abb. 47), war als Delegierter des Komitats Zala bei den Reformlandtagen und später als Jus­tizminister der ersten ungarischen Regie­rung beschieden, von Bloßstellung und Erniedrigung verschont zu bleiben. Seine Vergangenheit und Vorbildlichkeit ließen Deák, auch ganz entgegen seiner eige­nen Ambitionen und Bestrebungen, schon in den 1850er Jahren zur Führergestalt werden. Er lebte zurückgezogen auf seinem Gut Kehida und zog 1854 nach Pest ins Hotel Englische Königin. Recht lange Zeit war seine Tür nur für seine Freunde offen, doch achtete er darauf, daß im Bewußtsein der Nation der Wunsch nach Freiheit und Unabhängigkeit weiter brannte. Das for­mulierte er 1858 in einem Brief an die Redaktion des Pesti Napló (Pester Tage­buch): „Vor allem das ist die Aufgabe, daß in der Nation das Empfinden und die Begeisterung für die verfassungsmäßige Freiheit wach gehalten wird..." Das Kunstleben war deprimiert und ver­halten. Dennoch entstanden auch in die­sem Jahrzehnt bleibende Meisterwerke der ungarischen Literatur, die mittels der Vergegenwärtigung der großen nationa­len Vergangenheit die glanzvollen Tage und die Tragödie der nahen Vergangen­heit besangen. Schöne Beispiele dafür sind je ein Manuskript von Madách, Vö­rösmarty und Arany und einige Erstaus­gaben ihrer Werke. Die Gedenkfeier im Jahre 1859 anläßlich des 100. Geburtstages von Ferenc Kazin­czy war jener Wendepunkt, der ein Erwa­chen nicht nur neuen künstlerischen und literarischen, sondern auch politischen Lebens darstellte. Die Geschehnisse beim 71 Kazinczy-Zentenarium, die anonyme Wort­meldung des Einsiedlers von Mödling, István Széchenyi, und dann sein Selbst­mord hatten politische Aktivität zur Folge. Neben den innerhalb der Landes­grenzen entstandenen politischen Verhal­tensformen - der Ausgleichswilligkeit der Aristokratie, der Ablehnung des libera­len Gemeinadels und der Wachhaltung des Nationalbewußtseins durch Künstler und Intellektuellenkreisc - war die Emigration ein ernstzunehmender innen- und außen­politischer Faktor. Nach 1859 zeichneten sich die Kraftlinien eines Ausgleiches der beiden Reichsteile immer stärker ab. Das als Grundgesetz für die Völker des Reiches gedachte Ok­tober-Diplom vom 20. Oktober 1860 war das Dokument des Eingeständnisses des Konkurses der Willkürherrschaft und zu­gleich der Vereinbarung mit der konser­vativen Aristokratie. Es vereinte absolu­tistische mit föderalistischen und Zentra­lisierungsbestrebungen. Der absolutisti­sche Herrscher garantiert eine durch ver­fassungsmäßige Institutionen ausgeübte Herrschaft, stellt den ungarischen Statt­haltereirat, die Kanzlei und das Komitats­system wieder her, macht das Ungarische wieder zur Verwaltungssprache, verspricht die Einberufung des Reichstages und läßt wieder ungarische Aristokraten in den Amtern zu. Mit Ausnahme der konserva­tiven Kreise stieß das Diplom in Ungarn nur auf Ablehnung. Nach dem Mißerfolg des konservativen Ausgleichsversuches verwirklichte sich im Februar-Patent, dem Schmerlingschen Provisorium, erneut eine Zentralisations­bestrebung. Das Februar-Patent war das als liberale Verfassung des Habsburgerreiches gelten-

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