Kemenczei Tibor: Studien zu den denkmälern skythisch geprägter alföld gruppe (Inventarta Praehistorica Hungariae 12; Budapest, 2009)
Zur Forschungsgeschichte
FORSCHUNGSGESCHICHTE Die Geschichte, die Art und Weise der Beziehungen zwischen den im Steppengebiet gelebten Völkern skythischer Kultur und der zur gleichen Zeit im Karpatenbecken ansässigen Bevölkerung bilden seit Ende des 19. Jh. ein Thema der ungarischen archäologischen Forschung. Eine ganze Reihe von Aufsätzen, Büchern wurde verfasst, in denen die verwandten Züge der Denkmäler von Skythien und des Alföld (der Ungarischen Tiefebene), sowie von Siebenbürgen analysiert wurden. Aber dieses Thema bewegte nicht nur die Forscher. Die Ursache dafür liegt darin, dass es eine Überlieferung gibt, die seit dem ftlihen Mittelalter lebt und wirkt, wonach u. a. die Skythen als Urahnen der Ungarn gelten. Skythien und die Skythen wurden jahrhundertelang oft erwähnte Namen in den Theorien, Ideologien zur Ethnogenese der Ungarn. Die erste mittelaterliche Chronik, die diese zwei Völker miteinander gleichsetzt, stammte aus der Feder von Regino, des im Jahre 915 verstorbenen Abtes von Prüm. Laut der Chronik von Regino drangen die Ungarn aus dem Siedlungsgebiet der Skythen, aus der Sumpfgegend des Thanais (Don) vor. Regino beschrieb die Skythen, Skythien nach den Werken der Geschichtsschreiber Justinus (3. Jh. n. Chr.) und des Paulus Diaconus (um 720-797). Die Skythen wurden in den historischen Werken seit dem 5. Jh., seit der Tätigkeit von Rhetor Priscos häufig erwähnt. Die erste Quelle, bis zu der unsere Kenntnisse zurückgehen können, ist das Werk des im 5. Jh. v. Chr. gelebten griechischen Geschichtsschreibers Herodot (484-425 v. Chr.), dessen Angaben, Beschreibungen übernommen wurden. Bei der Erörterung des gegen die Skythen geführten Feldzuges des persischen Königs Dareios I. im Jahre 513 v. Chr. beschrieb Herodot die Geografie von Skythien, und zählte die dort gelebten Völker auf. Aber die späteren historischen Werke, denen dieser Bericht als Grundlage genommen wurde, gebrauchten die Benennung „Skythen" nicht zur Bezeichnung eines bestimmten Volkes, sondern jedes Volkes vom Osten, dem diese Werke Skythien als Urheimat zuschrieben. Auf diese Weise wurden auch die Hunnen königliche Skythen genannt. Auch die mittelalterlichen Geschichtsschreiber folgten diesem Gebrauch, sie nannten die Goten, Hunnen, Awaren, Ungarn, Kumanen gleicherweise Skythen. Unter den ungarischen Geschichtsschreibern leitete Anonymus als erster in seinem um 1210 verfassten Werk die Abstammung der Ungarn von den Skythen her. Diesem lag aber die Gesta Ungarorum aus dem 11. Jh. zu Grunde, die zwar verloren ging, aber ihr Inhalt konnte aufgrund der erhalten gebliebenen Chroniken herausbekommen werden. Laut deren bildeten die Hunnen und die Ungarn ein Volk und stammten aus Skythien. Anonymus übernahm die Beschreibung von Skythien aus der Exordia Scythica, dem im 7. Jh. verfassten Auszug aus dem Werk von Iustianus, während er die Ungarn und die Skythen aufgrund des Werkes des Chronisten Regino miteinander gleichsetzte. Als ersten König von Skythien erwähnte er Japhets Sohn Magog - nach ihm wurde die ungarische Nation (die Magyaren) benannt. Aus seinem Geschlecht stammte der Hunnenkönig Attila, der im Jahre 451 Pannónia eroberte. Simon Kézai erweiterte die Beschreibung der Urheimat der Ungarn in Skythien in seiner zwischen 1282-85 geschriebenen Chronik mit der hunnischen Ursprungssage. In seinem Werk blieb auch die vom Osten mitgebrachte Ursprungssage der landnehmenden Ungarn, die Sage vom Wunderhirsch, der das Brüderpaar in die neue Heimat geführt hatte, aufrechterhalten. Die verschiedenen Varianten dieser Märe kamen in dem Sagenkreis mehrerer Steppenvölker, so auch in dem der Ungarn vor. Laut der Chronik von Kézai entdeckten die zwei Söhne des biblischen Menrot Hunor und Magor im Sumpfgebiet des Mäotis-Sees (Asowisches Meer) die wunderbare Hindin verfolgend ihrem Volk ein neues Land. Hier fanden sie die zwei Töchter des alanischen Fürsten Dula, die sie entführten und heirateten. Von ihnen stammten die Hunnen und die Ungarn ab, so dass sie sich vermehrten und sich ins benachbarte Skythien umsiedelten.