Kolba H. Judit: Liturgische Goldschmiedearbeiten im Ungarischen Nationalmuseum. 14.-17. Jahrhundert. (Catalogi Musei Nationalis Hungarici. Series Mediaevalis et Moderna 1; Budapest, 2004)

DIE LITURGIE UND IHRE OBJEKTE

kleeblattförmigen Balkenenden mit ähnlicher Verzie­rung wie die übrigen Kreuze aus dem 15. Jh. Diese Form der Kreuze bleibt auch im 16. Jh. beste­hen. Eine Änderung beginnt im 17. Jh., in dem immer unterschiedlichere Formen entwickelt werden. In unse­rer Sammlung gibt es nur ein Exemplar mit der schönen, hohen Kreuzform (Nr. 113). Ein besonderes Stück - und gleichfalls einmalig - ist die Kreuzuhr: ein hohes Kreuz steht auf einem Sockel, der das Uhrwerk enthält, die Uhr befindet sich oben auf dem Kreuz und an seinem Fuß stehen die Statuetten von Maria und St. Johannes (Nr. 114). Dies stellt bereits eine Verbindung zwischen der liturgischen und der profanen Funktion dar. Eine Rarität ist das sog. Athos-Kreuz vom Ende des 17. Jh., von dem die Sammlung nur ein Exemplar besitzt. Die Buchsbaum­schnitzerei vom Berg Athos ist mit kunstvollem sieben­bürgischen Email verziert, das dieses Exemplar mit un­garischen Goldschmieden verbindet, denn die für das griechische Gebiet charakteristische Schnitzerei dürfte in einer ungarischen Werkstatt mit der schönen sieben­bürgischen Emailverzierung versehen worden sein. Laut dem Inventarbuch kam es aus Rußland ins Museum, also aus orthodoxem kirchlichen Milieu (Nr. 115). Hinsichtlich des Materials der Kreuze hat es nie li­turgische Vorschriften gegeben. Nach der Jahrtausend­wende nahm die Zahl derer aus Bronze oder Kupfer zu, und mit der Verbreitung der gotischen Kunst wurde das Silber zum Material von noch mehr oder zumindest eben­so vielen Kreuzen. Da es sich um liturgische Objekte handelt, wurden die meisten schön vergoldet oder feuer­vergoldet. Aber es gab auch Kreuze aus Glas und Holz, und sehr beliebt waren - besonders bei größeren Prozes­sionskreuzen - Kreuze aus einem Holzkern, der mit ver­goldeten Kupfer- und Bronzeplatten belegt wurde (Nr. 103-104). Unter den späteren Kreuzen - aus dem 15. und 16. Jh. - blieben solche auf Silberbasis in größerer Zahl erhalten (Nr. 106, 108-111), aber auch zwei aus vergoldeter Bronze (Nr. 105, 107). Das Material des Athos-Kreuzes ist selbstverständlich Holz, geschnitztes Buchsbaumholz (Nr. 115). Verziert wurden die Kreuze anfänglich nur mit Edel­steinen, Perlen und eingravierten Pflanzenornamenten. Von der Romanik an war es selbstverständlich, dass sich in der Mitte des Kreuzes die Gestalt des an ihm sein Leben dahingehenden Jesus befinden mußte. Ein solches Kreuz wurde auch Kruzifix genannt. Meistens wurde der Korpus (lateinisch corpus) separat gegossen, doch kennen wir gravierte, emaillierte und mit dem Kreuz zusammen gegossene Varianten. Nach der Jahr­tausendwende war die Darstellung des gekrönten Gott­menschen üblich, in der Gotik werden die Christusfi­guren mit gesenktem Haupt, dornengekrönt und mit dem Ausdruck unendlichen Schmerzes dargestellt. Auch die Darstellungen auf den großen Altarbildern der Zeit sind erschütternd, naturalistisch. Glücklicherweise sind die Korpusse auf den Kruzifixen des Museums mit ei­ner Ausnahme (Nr. 107) erhalten geblieben. Im Allgemeinen wählte man aus im voraus gegosse­nen Exemplaren den Korpus entsprechender Proportio­nen aus. In manchen Fällen ist der Korpus im Verhält­nis zur Größe des Kreuzes zu klein, dann handelt es sich vielleicht um eine nachträgliche Ergänzung. Über dem Korpus ist immer eine rechteckige Tafel oder ein Spruchband mit der Inschrift „Iesus Nasarenus Rex Iudeorum", d. h. „Jesus von Nazareth, König der Ju­den" (Joh 19,19), angebracht. Unter dem Kreuz finden wir in der europäischen Kunst seit dem 9. Jh. einen Schädel und gekreuzte Kno­chen. Laut der Kreuzeslegende war Adam dort begraben, wo das Kreuz Christi aufgestellt wurde. Dadurch hat die­ser ihn mit seinem vergossenen Blut erlöst. In Ungarn ist dies, zumindest in der Goldschmiedekunst, deshalb nicht nachzuweisen, weil die Balkenenden der Kreuze in der Romanik wie in der Gotik mit den Symbolen der Evan­gelisten geschmückt wurden. Nur auf einem unserer Kreu­ze finden wir den Schädel Adams, aber auch hier wurde er nachträglich als kleine Platte befestigt (Nr. 111). Das früheste Stück unserer Zusammenstellung ist das Doppelkreuz Ludwigs des Großen bzw. dessen Ko­pie (Nr. 105). Zu seinem reichen Schmuck gehören mit Wappen in durchsichtigem Email geschmückte Platten und die auch ursprünglich emaillierten oberen Kreuz­balken (heute glitzert Ersatzemail aus dem 16. Jh. auf ihnen). Die beiden Prozessionskreuze sind mit vergol­deten Kupferplatten bedeckt, jedoch unterschiedlich verziert: auf dem einen aufgeklebte, gepreßte Bleche mit Heiligen, Engeln und Evangelisten, eine mit den getriebenen Figuren von Christus und Maria (Nr. 104), auf dem anderen bedecken den Holzkern Bleche mit eingravierten und gepreßten Pflanzenmotiven. Die Sym­bole der Evangelisten befinden sich auf gegossenen Platten, der Korpus ist verloren gegangen (Nr. 104). Viel einheitlicher ist die Gruppe der Standkreuze aus dem 15. Jahrhundert, fast alle wurden mit Gravierung verziert. Gravierte Evangelistensymbole kommen am häufigsten auf den Vorderseiten und an den Balkenenden vor (Nr. 105, 107. 109, 111, 113). Unter dem Korpus wurde in eine kleinere Fläche als das Kreuz selbst ein Holzkreuz mit nachgeahmter Maserung eingraviert (Nr. 105, 107, 109,110, 111). Auf einem Kreuz ist neben dem Korpus nur eine reiche Rankenzier sichtbar (Nr. 118). Auf den Rückseiten befinden sich die hl. Jungfrau mit dem Kind (Nr. 109), die mit Inschrift versehenen Bilder der Evangelisten (105) oder ein graviertes Rankendekor

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