Kolba H. Judit: Liturgische Goldschmiedearbeiten im Ungarischen Nationalmuseum. 14.-17. Jahrhundert. (Catalogi Musei Nationalis Hungarici. Series Mediaevalis et Moderna 1; Budapest, 2004)

DIE LITURGIE UND IHRE OBJEKTE

Die liturgischen Vorschriften für das Material der Ziborien sind identisch mit jenen der Kelche, da ja auch sie Gefäße einer direkten Berührung mit dem Altarsa­krament waren. Regino, Abt von St. Martin in Trier, erlaubte 915 solche aus Silber, Gold und eventuell Zinn, im Mittelalter durften sie auch schon aus Kupfer und Bronze bestehen (BRAUN 1932, 39). Dieser Vorschrift entsprechen unsere beiden Ziborien aus dem 14. Jh., beide sind aus Kupfer, jedoch selbstverständlich ver­goldet. Am Ende des 17. Jh. wurden die liturgischen Vorschriften wieder verschärft, Kupfer, Bein und Holz wurden verboten (BRAUN 1932, 18). Das Ziborium von Körtvélyes (Nr. 89) gelangte 1915 eigentlich dadurch ins Nationalmuseum, dass dessen damaliger Generaldi­rektor der Kirche von Körtvélyes anbot, im Tausch für das Original eine silberne Kopie herstellen zu lassen." Gab es Vorschriften für die Verzierung der Ziborien? Allem Anschein nach nicht. Das Gefäß entstand entwe­der nach den Wünschen des Auftraggebers oder auf Grund der individuellen Fantasie des Goldschmieds. Selbstverständlich mussten die gewohnten, bewährten ikonografischen Traditionen berücksichtigt werden, aber innerhalb ihrer Grenzen durfte die Verzierung der Fläche frei gestaltet werden. Die Verzierung der beiden Ziborien des 14. Jh. im Nationalmuseum steht auf einem sehr ho­hen Niveau: Der unbekannte Meister des Ziboriums von Körtvélyes führte oben die Abbildungen der Apostel und an der Seite der Pyxis nach der Thematik der Biblia pauperum die sechs Szenen der Passion in Treibarbeit aus. Auf dem Bésán-Ziborium wurden unter durchsich­tigem Email Bischof St. Martin in zweierlei Fassung, die hl. Jungfrau und der Vir Dolorum auf separat aufge­klebten Platten dargestellt. Leider gelang es nicht, die Vorbilder oder Stiche der Darstellungen dieser beiden außerordentlich wertvollen Ziborien zu finden, obwohl die Verzierungen zweifellos nach Musterbüchern ver­fertigt worden waren. Zwei Ziborien aus dem späten 15. Jh. weichen in Form und Verzierung wesentlich von den übrigen ab: beide weisen ein getriebenes Blasenmotiv in mehreren Reihen auf. Ihr Kuppateil, Deckel und Fuß sind gleich reich ver­ziert, und das dichte Blasenmotiv unterbricht auffällig die glitzernde Oberfläche. Eine spätere Variante ist das Ziborium aus dem 16. Jh., sein runder Fuß, die flache, schälchenartige Kuppa und der Deckel sind bereits Ver­körperungen einer neuen Form; es ist fast unverziert. Als Attribute von Heiligen erscheinen die Ziborien nicht, da sie der Form nach den Kelchen ähneln. Doch sind sie häufig in den Szenen des Besuches der Heili­gen Drei Könige dargestellt, in denen der eine König dem Kinde üblicherweise ein reich verziertes goldenes Gefäß in Form eines Ziboriums darbietet. Es erscheint auch auf zahlreichen ungarischen Altarbildern, so auf denen von Aranyosmarót, Németlipcse und Késmárk. 12 MONSTRANZEN (KAT. NR. 94-IOD Der lateinische Name monstrancia ist eine Ableitung von monstrare 'zeigen'. Die Monstranz ist also ein li­turgisches Gefäß, dessen Zweck ist, den Gläubigen das darin aufbewahrte Altarsakrament zu zeigen. In der Urkirche entstand die Praxis, die in der Messe übrig gebliebenen oder im Voraus konsekrierten Hosti­en in kleinen Döschen im Tabernakel oder in einer zu diesem Zweck in die Mauer eingelassenen Nische auf­zubewahren. In dem Pyxis, Custodia, Ostensorium und manchmal Tabernakel genannten Gefäß wurden schon in den frühen Jahrhunderten die darin aufbewahrten, zum Leib Christi umgewandelten Hostien oder Brot­stückchen mit großer Ehrfurcht gehütet. Jahrhundertelang gab es für das Altarsakrament kein eigenes Fest. Die beim Letzten Abendmahl durch Chri­stus eingesetzte Eucharistie - „das tut zu meinem Ge­dächtnis" - wurde seit dem 2. Jh. in Wirklichkeit täg­lich in der Messe gefeiert. Selbstständig wurde das Fest der Eucharistie aber erst 1246 mit großem Pomp in Lüt­tich gefeiert; dies ist die erste Angabe eines gesondert gehaltenen Festes. Jahre später hatte eine Augustinernonne, Julia von Lüttich, eine Vision: Im Traum erschien ihr Jesus und bemängelte, dass in der Liturgie des Kirchenjahres ein eigenständiges Fest der Eucharistie fehle. Sie berichtete Papst Urban IV. ( 1261-1264) von ihrem Traum, der dar­aufhin 1264 für die ganze Kirche das Fest der göttlichen Liebe, das Fronleichnamsfest, verordnete. 13 Er entschied, dass dieses Fest mit großer Pracht gefeiert und dem öf­fentlich zur Schau gestellten Sakrament gehuldigt wer­den solle. Da die Verehrung der Eucharistie beim Letz­ten Abendmahl am Gründonnerstag von Christus selbst verordnet worden war, wurde ihr Fest, den Änderungen von Ostern und Pfingsten folgend, am Donnerstag der Oktav des Trinitatissonntags (Sonntag nach Pfingsten) gefeiert. Gemäß der bald entstandenen liturgischen Zere­monialordnung trug man das Sakrament in den Siedlun­gen herum, machte bei vier Altären Halt, verlas Evange­liumsabschnitte und sang Adorationsgesänge. Für ein so hohes Fest und die Prozession musste das Altarsakrament selbstverständlich ein würdigeres Be­hältnis als die bisherige Pyxis erhalten. Das neue litur­gische Gefäß sollte das in ihm verwahrte Sakrament entsprechend repräsentieren: Automatisch bot sich das Abbild des prächtigsten Bau der Epoche an, der goti­schen Kathedrale des 13. Jh. So war diese erste und für

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