Kolba H. Judit: Liturgische Goldschmiedearbeiten im Ungarischen Nationalmuseum. 14.-17. Jahrhundert. (Catalogi Musei Nationalis Hungarici. Series Mediaevalis et Moderna 1; Budapest, 2004)
DIE LITURGIE UND IHRE OBJEKTE
Jahrhunderte gleich gebliebene Form eigentlich die verkleinerte Nachahmung einer Kathedrale. Unten bestand sie aus einem hohen, zuweilen mit Heiligenbildern verzierten kelchähnlichen Fuß, der Nodus war mit einem Kapellenkranz verziert oder stark gestaucht kugelförmig, dann folgte der Schrein, verziert mit kleinen gegossenen Türmchen, Fialen, Statuetten, Sitznischen und Stützpfeilern, in dessen Mitte, hinter Glasplatten, sich eine mondsichelförmige sog. Lunula mit der heiligen Hostie befand. Die gotische Form blieb jahrhundertelang im ganzen Land in Gebrauch, alle Stücke in unserer Sammlung zeigen diese Kathedralform (Nr. 94—100). Diesem Gefäß wurde der Name Monstranz gegeben, da ein solches Meisterwerk der Goldschmiedekunst wirklich der Ausstellung der heiligen Hostie würdig war. Für die Lunula wurden größere Hostien (von 6-8 cm Durchmesser) mit einem Waffeleisen gebacken, auf dessen beiden Seiten sich erhabene Bilder und Szenen befanden: am häufigsten das Agnus Dei und Christus am Kreuz. Die Vorschriften für das Material der Monstranzen waren selbstverständlich identisch mit denen für die Kelche, obwohl die Hälfte der erhalten gebliebenen Exemplare aus Kupfer bestehen. Die Ursache dafür dürfte sein, dass für eine Monstranz wesentlich mehr Material nötig war als für einen Kelch. Streng festgelegt war auch hier das Material der mondsichelförmigen Lunula, die direkt mit der Hostie in Kontakt kam; sie musste vergoldet oder aus Gold sein. Die Größe der Lunula war unterschiedlich, doch diente sie immer der Aufnahme einer überdurchschnittlich großen Hostie. Bei einem Teil der mittelalterlichen Monstranzen fehlt die Lunula (Nr. 94, 95), doch sind in der Mehrheit die Originale noch vorhanden. Die die Hostie enthaltende Lunula wurde von hinten durch die geöffnete kleine runde oder ovale Glastür auf der Rückseite des Schreins in die Monstranz eingesetzt. Beim größeren Teil der gotischen Monstranzen fehlt - schon wegen des zerbrechlichen Materials - die originale Verglasung (Nr. 95, 97, 98). Um so wertvoller ist das schöne, originale Glas der Monstranzen von Szendrő (Nr. 96) und Vécke (Nr. 100). Die prachtvollen architektonischen Elemente bedekken den Oberteil aller im Katalog dargestellten Monstranzen. Unterschiedlich sind bloß die Qualität der kleinen Gußstücke und ihre Fülle, sodass die Häufung der Verzierungen die Monstranz von Szendrő (Nr. 96) so einmalig werden lässt. Nicht nur der Oberteil, sondern auch der reichverzierte Fuß macht diese Monstranz zu einem Prachtwerk der Goldschmiedekunst: Auf dem Sechspassfuß reihen sich die wunderschön gravierten Bilder von St. Ladislaus, St. Johannes dem Evangelisten, St. Margarete von Antiochien, der Jungfrau mit dem Jesuskind, St. Barbara und des auferstandenen Christus aneinander. Gegossene Heiligenstatuetten zieren die Monstranz aus Óbuda, auf der zwischen den Pfeilern die Figuren der Schutzheiligen der Kirche stehen, St. Petrus und Paulus. Besonders erwähnenswert ist der mit Kapellenkranz verzierte Nodus auf einigen unserer Monstranzen: auf Nr. 95 befinden sich zwei Nischenreihen übereinander, je eine ziert den Schaft der Stücke von Szendrő (Nr. 96) und Svábfalva (Nr. 99). In der Renaissance veränderte sich die Form der Monstranzen kaum; unter der Verzierung des oberen Turmes, des Hostienschreins, wurden dichter beblätterte Ranken angelötet. In unserem Material gibt es nur ein Exemplar (Nr. 100). auf dem der Strahlenkranz und die Rankenreihe um die Lunula besonders reich verziert sind. Als Parallelen können wir im historischen Oberungarn verfertigte und dort aufbewahrte schöne Renaissance-Monstranzen erwähnen: die schönsten sind die der St. Martinskirche von Pozsony, der Pfarrkirche von Iglö sowie der Kirchen von Felka, Alsólapos und Lubló. 14 Eine entscheidende Formveränderung in der Geschichte der Monstranzen brachte das Erscheinen der mit Strahlenkränzen umrahmten Barockmonstranzen mit sich, doch gibt es solche nur in der Neuzeitsammlung. Auch hier seien jene Heiligen erwähnt, die wegen eines legendären Ereignisses ihres Lebens die Monstranz als Attribut erhielten und mit ihr abgebildet wurden: nach der Legende des St. Antonius von Padua fiel ein hungernder Esel vor der in seiner Hand erhobenen heiligen Hostie auf die Knie; die hl. Barbara: Helferin der Sterbenden, die das Empfangen des Altarsakramentes stärkt (nebst Kelch und Turm); St. Klara von Assisi, die 1241 die ihr Kloster angreifenden Sarazenen mit der Monstranz in der Hand zur Flucht zwang; St. Norbert überzeugte den Manichäer Tanchelm durch das Hochhalten der Monstranz; der franziskanische Laienbruder St. Paschalis erhielt das Attribut für seine innige Verehrung der Eucharistie; St. Thomas von Aquino ist der Verfasser der zwei schönsten Hymnen zur Verherrlichung der Eucharistie. „Pange lingua" und „Lauda Sion". KREUZE (KAT. NR. 102-115) Der Name kommt vom lateinischen crux. Das Kreuz ist das älteste und wichtigste Symbol der Christenheit. Ursprünglich dienten die zwei quer aufeinander befestigten Balken im Römischen Reich zur Hinrichtung der Verurteilten, meistens von Sklaven. An ihnen wurde der Verurteilte angebunden oder angenagelt. Jesus Christus erlitt auf diese Weise den Kreuzestod, und so wurde aus dem Marterwerkzeug das wichtigste Symbol der Christenheit, das Werkzeug der Erlösung, an dem Jesus