Kolba H. Judit: Liturgische Goldschmiedearbeiten im Ungarischen Nationalmuseum. 14.-17. Jahrhundert. (Catalogi Musei Nationalis Hungarici. Series Mediaevalis et Moderna 1; Budapest, 2004)
DIE LITURGIE UND IHRE OBJEKTE
Mittelalter an legte der die Messe lesende Priester nach dem Offertorium die zum Leib Christi gewandelte Hostie darauf. In ihrer ursprünglichen Form passt der Mittelteil, im Allgemeinen im Winkel gebrochen oder gebogen, genau auf den Rand des dazu gehörenden Kelches. Beide wurden immer zusammen gefertigt: aus dem gleichen Material und mit identischer Verzierung. Leider gibt es heute nicht nur in den musealen Sammlungen, sondern auch überall im Land in kirchlichen Schatzkammern und in den Kirchen sehr wenige zusammengehörende Kelche und Patenen. Verzierung In den frühen Jahrhunderten wurden im Abendland die Patenen oft mit Edelsteinen und Email geschmückt, später aber hörte man damit auf, weil sie die Reinigung erschwerten. 9 So ist die praktischste Verzierungsform geblieben, die Gravierung, von der es zwei Möglichkeiten gab: Entweder wurde der Rand der Patene verziert oder irgendein Muster in den Mittelteil, den sogenannten Nabel, graviert. Dieses Muster bestand im Mittelalter aus den Variationen einiger Signa: ein dekoratives Strahlenkreuz (Nr. 84, 85); die Inschrift „inri" auf einem Spruchband (Nr. 70); eine Vir Dolorum-Darstellung verziert die Patene des Kelches von Torna (Nr. 71); die Buchstaben „IHS" im Strahlenkranz, ein umrahmtes Kreuz, ein Herz und drei Dolche zieren Nr. 86. Wappen befinden sich auf drei Patenen: das Wappen der Familie Országh auf dem Exemplar der Révay-Sammlung (Nr. 72), das Monogramm „A.R." im Wappenschild auf der Patene von Felsőlövő (Nr. 80) und schließlich das Kemény-Wappen und der Name von Kata Kemény auf dem schönen, kleinen Schälchen aus der Jankovich-Sammlung (Nr. 88), dem einzigen Stück, dessen Besteller und Stifter bekannt ist. Die Datierung der Patenen des Kataloges ist recht schwierig, weil es besonders bei den in großer Zahl vorhandenen unverzierten Stücken keinerlei Anhaltspunkte gibt. Obwohl die bearbeitete Gruppe noch Stücke vom Ende des 17. Jh. enthält, fand ich selbst auf den späten Stücken kein Meisterzeichen, keinen Hinweis auf den Verfertiger. Erwähnt sei, dass die Daten von vier Patenen der Sammlung eindeutig beweisen, dass sie für protestantische Kirchen geschaffen und dort gebraucht wurden. Da sie von den mittelalterlichen und im katholischen Gebrauch befindlichen Stücken in ihrem Charakter und mit ihren langen Inschriften abweichen, werden sie im letzten Kapitel behandelt (Nr. 137/2, 144, 146, 156). ZIBORIEN (KAT. NR. 89-93) Das lateinische ciborium stammt vom griechischen kyborion und steht auch mit lateinisch cibus 'Lebensmittel' in Verbindung. Es hat zweierlei Bedeutungen: es wurde zur Bezeichnung des Baldachins über dem Altar gebraucht, dient aber auch als Name eines kelchförmigen Deckelgefäßes. In den kirchlichen Inventaren findet sich jahrhundertelang die aus dem Griechischen ins Lateinische übernommene Bezeichnung pyxis, „in quareponitur eucharistia" (in welcher die konsekrierte Hostie verwahrt wird: BRAUN 1932,223-224). Es ist bemerkenswert, dass pyxis auch immer wieder in den liturgischen Vorschriften erscheint (Inventar der Kathedrale von Rouan, 12. Jh. BRAUN 1932, 283), vermutlich, um eine Verwechslung mit dem Altarbaldachin zu vermeiden. Im Mittelalter waren mehrere Benennungen bekannt: bustia (11.14. Jh.), custodia, columba (taubenförmige Gefäße sind in abendländischen Schatzkammern bekannt), cuppa, chrismale, theca (BRAUN 1932, 283). Ins Ungarische wurde das lateinische Wort Ziborium übernommen, doch wurde das Gefäß erst seit dem Spätmittelalter so genannt. Die frühe Form der Pyxis unterschied sich auch von der der heutigen Hostienbehälter, anfangs war sie ein kleines, rundes oder eckiges Deckeldöschen mit 5-6-8 cm Durchmesser. Bis zum Ende des 13. Jh. nahm im Allgemeinen jedermann an der Kommunion in der Messe teil, sodass der Priester nur Hostien entsprechend der Zahl der Teilnehmer konsekrierte bzw. einige für die abwesenden Kranken in kleinen Döschen aufbewahrte (BRAUN 1932, 282-290). Vom 11.-12. Jh. an hörte die Verteilung von Brotstücken auf, die Kommunion geschah einheitlich mit Hostien (KACZIBA 1940, 39). Eigentlich waren die häufigeren Pilgerfahrten die Ursache für die Vergrößerung der Ziborien: i n den Festmessen kommunizierten mehrere Tausend, sodass größere, Kelchen entsprechende Gefäße erforderlich wurden. Entweder innerhalb der Festmesse oder schon einige Tage zuvor wurde die große Menge von Hostien konsekriert, und auch außerhalb der Messe durfte man kommunizieren. Dazu war nicht nur ein größeres Gefäß - mit 15-18 cm Durchmesser-nötig, sondern auch eines, das der Priester längere Zeit in der Hand halten konnte, folglich wurde die einstige kleine Dose mit einem Fuß und Schaft versehen. Die gotischen Ziborien bewahrten eindeutig die runde oder eckige Form der Pyxis. Der Fuß aber ahmte automatisch die schon bewährte Form des Kelches nach. Ziborien in eckiger Dosenform wurden in Ungarn im 14. und 15. Jh. hergestellt, von ihnen befinden sich zwei im Nationalmuseum (Nr. 89,90), drei in Esztergom 10 und vier in den Schatzkammern siebenbürgischer Kirchen: in Hegen, Nagysink, Nagyselyk und Kisdisznód (H. KOLBA 1975, 322-324).