Lovag Zsuzsa: Mittelalterliche Bronzgegenstände des Ungarischen Nationalmuseum, (Catalogi Musei Nationalis Hungarici. Seria Archeologica 3; Budapest, 1999)

Einführung - Die mittelalterlichen Bronzegegenstände des Ungarischen Nationalmuseums

Siegel und Typarien (Kat. Nr. 210-213) Das Nationalmuseum besitzt drei runde Bronzereliefs mit Öse, welche als nur für die ungarische Rechtsgeschichte typische Zitationssiegel definiert wurden. Das erste ist ein mit Umschrift versehenes, einen Herrscher auf dem Thron darstellendes, mit den damaligen Wachssiegeln übereinstimmendes, gegossenes und vergoldetes Bronzesiegel, das sich mit König Andreas 1.(1046-1060) verbinden läßt (Kat. Nr. 210). Das zweite ist wahrscheinlich das von Béla IV. als Jüngerer König" (1220-1235) herausgegebene Zitationssiegel (Kat. Nr. 212), und das dritte Stück, ohne Umschrift, könnte - der Darstellung des Erzengels Michael zufolge - das Siegel des Kapitels des Erzengel Michael geweihten Domes von Veszprém gewesen sein (Kat. Nr. 211). Das Andreas I. zugeschriebene Zitationssiegel - von dem das Museum in Veszprém ein zweites Exemplar aus der gleichen Gußform besitzt - ist eine wahlscheinlich genaue Kopie des Wachssiegels des Königs. Von diesem blieb kein Exemplar erhalten, nur auf der Gründungs­urkunde der Abtei in Tihany findet sich eine verfärbte Spur von ihm, doch läßt sich das Siegelbild aufgrund der zeitgenössischen Königssiegel rekonstruieren. Das zweite Stück, aus dem 13. Jahrhundert, stimmt nicht mit den Königssiegeln überein, da es im Mittelfeld kein Königsbild, sondern das Agnus Dei zeigt; deshalb auch halten wir es für das Zitationssiegel des noch zu Lebzeiten seines Vaters zum jüngeren König gekrönten Béla IV. Die Benutzung des Zitationssiegcls belegen in der ungarischen Rechtsgeschichte viele Gesetzestexte und sonstige Quellenangaben aus dem 11-14. Jahrhundert. Diese in Europa einmalige Rechtspraxis bedeutete, daß die durch den König ausgesandten Richter die Prozeß­gegner nicht mittels Urkunden, sondern bloß durch Übersenden des Siegels vor sich zitierten. Der Gebrauch des Zitationssiegels - das offensichtlich das Siegel dessen war, in dessen Namen die Richter Urteil sprachen - hat seinen Ursprung ganz wahrscheinlich in der byzantini­schen Siegelpraxis und der dort herausgebildeten Bedeutung des Siegels. Im 11. Jahrhundert verwendeten noch allein die byzantinischen Kaiser - und ihnen folgend der päpstliche Hof - das am Schriftstück befestigte Metallsicgel (Bulle), die westlichen Herrscher pflegten diese Praxis nur vereinzelt und vor allem bei ihrer Korrespondenz mit dem oströmischen Kaiserreich. In Ungarn jedoch sind - außer den bronzenen Zitations­siegeln - auch je eme Bleibulle zweier Herrscher des 11. Jahrhunderts, Peters (1038-1042) und Salomons (1063­1074), erhalten geblieben. Deren Königsdarstellung ist der des Zitationssiegels von Andreas I. sehr ähnlich, während ihre in waagerechte Zeilen geordneten Aufschriften treu den byzantinischen Siegeln folgen. Die von den ungarischen Herrschern des 11. Jahr­hunderts verwendeten Metallsiegel folgen den byzan­tinischen Vorbildern ebenso wie die Formen der auf ihnen dargestellten HeiTschaftsinsigni en. Und die byzantinische Auffassung, die das Kaiserbild als Vertreter und Platzhalter der dargestellten Person betrachtete, mag als Grundlage für die Benutzung des Zitationssiegels gedient haben: Der Mann des Königs gab mit ihm zu erkennen, daß er im Namen des Herrschers, als sein Vertreter auftritt. Das doppelte Typarium (Kat. Nr. 213) der „Latiner" - wallonischer Siedler - von Esztergom ist eines der ersten Stücke der Sammlung des Nationalmuseums. Das aus Bronze gegossene, gravierte und vergoldete Typarium entstand in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts und ist ein Prachtwerk der ungarischen Bronzekunst. Buchbeschläge, Truhenbeschläge (Kat. Nr. 214-231) Unter der kleinen Zahl von Beschlägen der Sammlung ist die Definition der Bestimmung der früheren Stücke unsicher; wahrscheinlich haben sie zur Verzierung von Kästen und Truhen gedient. Das Stück Nr. 214 ver­öffentlichte Hampel schon 1894 unter den christlichen Denkmälern aus dem frühen Mittelalter, doch gelang es nicht, seine ursprüngliche Inventarnummer zu entdecken. Auch die Zeitbestimmung des dicken kreuzförmigen Beschlages ist zweifelhaft, die in der Mitte mit einem Kreis verzierte Kreuzform mit gleichlangen Balken ist fast zeitlos. Möglicherweise verzierte er einen Buchdeckel und ist dann ein - vorerst einzigartig - frühes Beispiel seiner Art. Das S hick Nr. 218 wurde aufgrund seines Stils auf die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert, der runde, mit dem Symbol des Evangelisten Lukas verzierte Beschlag stammt mit Sicherheit vom Buchdeckel eines Evangeliums. Die kleinen weltlich gekleideten Figuren und das gotische Blattwerk am Ende des durchbrochenen Beschlages Nr. 220 stehen der Verzierung der Gewand­schließen des beim Bau der Budapester Universitäts­bibliothek gefundenen, im Nationalmuseum aufbewahrten Silberfundes sehr nahe, vermutlich sind sie Erzeugnisse derselben Werkstatt. Die Sammlung enthält zwei Paare von gepreßten deltoidförmigen Eckplatten (Kat. Nr. 227, 228), wie sie sich um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert in größerer Menge mit den gedruckten Büchern verbreiteten. Über die Herkunft der Beschläge wissen wir fast überhaupt nichts, sie kamen jeweils aus Privat-

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