KOZÁKY ISTVÁN: A HALÁLTÁNCOK TÖRTÉNETE II. / Bibliotheca Humanitatis Historica - A Magyar Nemzeti Múzeum művelődéstörténeti kiadványai 5. (Budapest, 1944)

Erster Abschnitt: Germanische Weltanschauungs-elemente im Totentanz

ebenfalls ausgeführt gesehen habe. Auch darauf möchte ich noch zurückkommen ! Und nun zurück zum Bilde in Herkula­neum ! Es ist eine Darstellung der Entwicklung derselben menschlichen Seele vom primitivsten Anfang bis zur höchsten Vollkommenheit. Im ersten Stadium des Lebens lebt der Mensch ein völlig vegetatives Naturleben, er wird von der Natur, der Realität selber gesäugt, genährt, und von der Natur in das Gefühl des körperlichen Wohlseins hineingeleckt, indem das ganze Le­ben sich im Gehorchen der Herrschaft der In­stinkte erschöpft. Aber nun folgt eine weitere Voll­kommenheitsstufe des Menschen I Die Instinkte werden in Gefühlserscheinungen verwandelt und die Gefühle, welche nach antiker Symbolik auch im Mittelalter vielmals durch irgendeinen Vogel veranschaulicht werden, erheben da mit ihren Adlerflügeln den Menschen über die gefühllose Natur. Wenn der schwarze Vogel, der Mensch in seinem dumpfen Seelenzustand, sich in die Lüfte emporschwingt, und wenn sich dann auch die Willenskraft, das Willensleben in der Ge­stalt eines Löwen zur Gefühlswelt paart, da steht schon der Mann vor uns. Der Mann, der seinen Blick noch immer auf das natürliche, vegetative Leben senkt und sich in den Kämpfen, in den leiblichen Übungen, in der brutalen Körperlich­keit und Muskelkraft, in den Trieben, Bestrebun­gen, Ergötzungen des Alltags auslebt. Auch er verkörperlicht noch immer nicht die höchste menschliche Vollkommenheit. Um sich zu einer höheren Vollkommenheit zu erheben, müssen die Ideen, die höchsten Lebensideale bei sei­nem Kopf in der Gestalt eines beflügelten Ge­nius erscheinen und ihn nach den Anweisungen und Fingerzeigen der ewigen Wahrheiten zur höchsten Vollkommenheitsstufe geleiten. Und diese wird durch jenes herrliche Weib in der Mitte des Bildes dargestellt. Die Blicke sind schon ins Weite gerichtet, dorthin, woher die ewig menschlichen Ideen kommen und wohin sie das nur aufs Allerhöchste gestellte mensch­liche Herz locken. Umsonst die lockende Musik der faunischen Welt, umsonst alle Pracht und aller Reichtum ! Sie können das menschliche Herz nicht genügsam machen. Ein wunderbares Zusammenwirken der menschlichen Gefühls-, Willens- und Gedankenwelt führte zu dieser Entwicklungsstufe, wo der Mensch den Wan­derstab in der Hand hält, ein Wanderer im Dies­seits nach der Ideenwelt. Das ist ja das Ziel des Menschen auf der Erde : die unbegreifbaren Ideen, die Wahrheiten „aus einer anderen Welt" im Diesseits zu ver­körperlichen, in seinen Werken zu verwirklichen, greifbar und möglich zu machen ; aber ander­seits wieder die Natur, die Materie, das Greif­bare in eine höhere Region zu erheben, seelisch zu vergeistigen ! Die irdischen Werke werden zu Spiegelungen der Ideen und die Ideen zu Apotheosen des Irdischen 1 Und damit wird unser Bild zum Symbol des Menschenlebens und alles menschlichen Schaffens 1 Denn Kunst und Poesie sind ja ebenso Spiegelungen des absolut Schönen, wie die Wis­senschaft eine menschliche Projektion der ewigen Wahrheiten und die Moral des ewig Guten ist. Der eigenste Gegenstand von Poesie und Lite­ratur ist die Darstellung der Entwicklung des Menschenichs im System der Anziehungs- und Abstossungskräfte zwischen Natur und Überna­tur. Somit entsteht schon für uns eine Wertab­grenzung und wir ziehen nur das in den Begriff der Literatur heran, was die Natur zur Apothe­ose und das Unbegreifbare zur Verwirklichung leitet. Dieser Vorgang lässt sich dann auch in der Totentanzdichtung und Totentanzkunst beobachten ! Auf dem Bilde ist alles wunderbar einge­richtet. Eine Reihe von Erwartungen, welche in der Phantasie des Beschauers in Erfüllung ge­hen 1 Der Knabe ist im Begriffe das Säugen aufzugeben, der Adler richtet seine Flügel zum Fluge zurecht, der Mann scheint seine Ruhe­haltung in ein Weitergehen zu verwandeln, der Löwe ist im Aufspringen, der Genius will den Mann nach einem unbekannten Ziele weiter­führen und das wunderwolle Mädchen will auf­stehen und wandern ! So gibt jede Kunst den Antoss zu einer Entwicklung, die sich dann im Kunstgeniesser seelisch verwirklicht. Aber auch die Poseie nimmt teil — wie jedes menschliche Werk — am Entwicklungs­gang des Menschenichs. Jener Teil der Poesie, der sich unmittelbar vom realen Leben, von der Wirklichkeit nährt, ist die Epik ; auf die Epik folgt die mit Adlerflügeln hochschwingende Lyrik. Da wäre der Mann : der Roman und der Löwe : das Drama, der lachende Pan : der Hu­mor und der grosse Korb mit Früchten : die poetische Beschreibung. Und die mittlere Ge­stalt wäre dann die Poesie selbst mit ihrem grobgehobelten Wanderstab, mit der zurecht­geschnittenen Wirklichkeit. Sie ist das poetisch inspirierte Leben und die weitergelebte Poesie ! Dies freilich hat der Maler dieses Stück­chens vor zweitausend Jahren mit seiner „Te­lephus-Darstellung" nicht gemeint und auch nicht einmal geahnt. Das ist es eben, was aus dem Werke des unbekannten Meistersein Kunst­werk von bisher ungeahnter Grösse macht. Ich benützte es nur, um meine Gedanken über Poesie und Literatur daran zu knüpfen. Denn schon dadurch, dass das Wort Litera­tur auf das lateinische „littera" hinweist, scheint mir genügend zum Ausdruck zu kommen, dass es sich hier in Poesie und Literatur um denselben Vorgang handelt, der in Buchstaben und in der Reihe von Buchstaben, in Tönen und in der Reihe von Tönen und Wörtern die unbegreifbare Welt der menschlichen Gedanken und Begriffe verwirklicht, ja zum wiederholten Erlebnis bereit macht. Ja Erlebnis ! Das ist des Pudels Kern ! Wozu sinkt Poesie und Literatur ohne Erlebnis und Wiedererleben des Lesers hinunter ? Gustav Freylag lässt in seinem Roman

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