Nagy Ildikó szerk.: Székely Bertalan kiállítása (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 1999/2)
BAKÓ, Zsuzsanna: FORSCHUNGSBEITRÄGE ZUM OEUVRE VON BERTALAN SZÉKELY
beiden Sätzen entnehmen wir, daß für Székely an diesem Thema vor allem der durch den Akt vermittelte ideelle Gehalt von Interesse war. Der Anspruch auf die Vermittlung eines geistigen Inhalts mag ein Grund dafür gewesen sein, daß sich seine Aktbilder mit den Begriffen Reinheit, Unschuld und kühle Schönheit verbinden und die Fachliteratur sogar in bezug auf Leda von einer Darstellung „bar jeder erotischen Wirkung" spricht. 160 Das 19. Jahrhundert kann auch als die Entstehungszeit der selbständigen Aktmalerei ohne jede biblische, mythologische und allegorische Verkleidung bezeichnet werden. Der Konservativismus im ungarischen öffentlichen Denken hat diesen Prozeß jedoch verlangsamt, so daß für die erste Hälfte des Jahrhunderts noch die Bildtypen charakteristisch sind, die den Akt hinter der Mythologie verbergen. Die mythologischen Aktbilder von János Donát, Károly Brocky und später von Alajos Györgyi Giergl knüpfen stilistisch an die Traditionen des Klassizismus und des Biedermeier an. In bezug auf die Gefühlswelt vermischen sich erotischer Effekt mit Prüderie und Naivität mit symbolischer Aussage. 161 In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts erfolgt eine Veränderung in der Anschauung. Die meisten mythologischen und allegorischen Darstellungen werden in den Bereich der Wandmalerei „verlegt", und in der Tafelbildmalerei kommt immer häufiger der selbständige Akt vor. Die Aktmalerei befreit sich nicht nur vom „Schutz" durch andere Kunstgattungen, sondern auch vom Idealismus und vom übertriebenen Festhalten an den klassischen Vorbildern. Die Akte von Szinyei, Benczúr und Lötz zeigen Frauen aus Fleisch und Blut, die schön, begehrenswert und erotisch sind. Stilistisch kommt auf den Bildern der Einfluß von Pleinair, Romantik und großzügigem Akademismus zur Geltung. Das mythologische Thema taucht bei Székely schon in den ersten Jahren seines Schaffens auf. Einige seiner Biographen erwähnen, daß er 1856 während seines Aufenthaltes in Kronstadt - vor allem aus finanziellen Gründen - für eine Apotheke das Firmenschild Aeskulap und die Parzen malte. 162 Von dem Bild gibt nur seine ehemalige Schülerin Janka Horvát eine skizzenhafte Beschreibung: „Noch nach Jahren stand ich bewundernd vor dem vom Straßenschmutz in Mitleidenschaft gezogenen Bild, das auch mit seinen ausgeblichenen Farben von Leben und Gedanken erfüllt war. Die beiden anmutigen Parzen, den Faden spinnend und erhaltend, sind das himmlische und das irdische Idealbild, die dritte häßliche schickt sich hämisch und neidisch an, den Faden zu durchschneiden, während Aeskulap in leidenschaftlicher Erregung ihre Hand zurückhält. Die Grundidee kommt bei allen vier Gestalten lebendig zum Ausdruck." 163 Da uns der Verbleib des Bildes nicht bekannt ist, können wir uns die Szene vom Kampf des Aeskulap - mit griechischem Namen Asklepios -, jenes heilenden Halbgottes, der auch Tote wieder zum Leben erwecken konnte, mit den Parzen - mit griechischem Namen Moiren -, den Schicksalsgöttinnen, nur nach dieser Beschreibung vorstellen. Nach den begeisterten Worten zu urteilen, entbehrte auch dieses Jugendwerk Székelys nicht der für ihn so typischen gefühlvollen Vortragsweise. Anderthalb Jahrzehnte später taucht mit den LedaVariationen wieder ein mythologisches Thema in der Tafelbildmalerei von Székely auf. Die Wahl und die Bearbeitung dieses Themas mit verborgenem erotischen Inhalt überraschte die Zeitgenossen des Künstlers. Sie kannten Székely als eine verschlossene Persönlichkeit mit moralischer Lebensführung und glaubten, daß ihm das Thema fremd sein müßte. Unter seinen persönlichen Bekannten und Freunden äußert Sándor Nagy angesichts der Leda-Variationen, die auf der Ausstellung von 1911 einen ganzen Saal füllten, seine aufrichtige Verwunderung: „Er, der nicht einmal die Erotik eines Asketen in sich hatte, malte für einen ganzen Saal Leda-Folgen. Was hat ihn dazu veranlaßt?" - und an anderer Stelle fährt er fort: „Die Leda-Periode war in seinem Leben der ödeste Zeitabschnitt, eine tote Theorie, in der es kein Gefühl gab, nur das gut in Gang gesetzte logische Knacken einer Denkmaschine, die auf der Stelle trat." 164 Folgen wir dem Gedankengang von Sándor Nagy, kann uns nur die lange Reihe von Studien, Skizzen, Zeichnungen und Anmerkungen zum Verständnis führen. Sie zeigen deutlich, daß wir es hier mit einer künstlerischen Abstraktion zu tun haben, die durch eine Reihe von Experimenten zustande kam und bei der es sich viel mehr um ein Gedankenspiel, um Verstand und Vernunft handelt als um die gefühlvolle, sinnliche Darstellung einer erotischen Begegnung. 165 (Abb. 57). Das ist auch der Grund für den „Konservativismus" der malerischen Anschauung, die Sándor Nagy dem Maler ebenfalls zum Vorwurf macht: „Leda konnte nicht zwischen die leuchtenden, in tausend Reflexen erzitternden Blätter der Natur gelangen ... sie blieb im Dunkel des Clair-obscur gefangen und erreichte nicht das große Licht des Pleinair, sie bleibt eine Emulsion von Kremser Weiß." 166 Der in den Leda-Bildern zweifellos zum Ausdruck kommende Idealismus und die Neigung zum Experimentieren haben gemeinsam zu dem erkennbaren Ergebnis geführt. Damit wird verständlich, daß sich Székely stilistisch eng an die klassischen Traditionen hält und für das von vornherein abstrakte mythologische Thema nicht die Pleinairmalerei der Ansicht oder impressionistische Mittel wählt. Gleichzeitig können wir aber unter den Skizzen, die er zu Leda anfertigte, als Markierung der verschiedenen Phasen des Experimentierens und Überlegens auch Studien mit viel Licht und Reflexen finden (Kat.-Nr.: 163, Abb. 58). Das rätselhafteste Werk im Oeuvre Székelys, das Bild Japanerin, gehört ebenfalls zu dieser Themengruppe (Kat.-Nr.: 87). Das Bild legte den Zeitgenossen und auch der späteren Literatur eine ganze Reihe von unbeantworteten Fragen vor, die bis auf den heutigen Tag nicht geklärt sind. Die spannendste Frage von allen ist vielleicht, was den Maler 1871 auf das östliche Thema brachte. Die Antwort müssen wir in dem