Markója Csilla szerk.: Mednyánszky (A Magyar Nemzeti Galéria kiadványai 2003/2)
Csilla Markója: „Die Entfernung zwischen einem erhabenen und einem abscheulichen Gesicht". Über die außergewöhnliche Kunst des László Mednyánszky
mentalen Malerei machte er auf dem Gebiet der Maße und Horizontlinien: „Es war schon immer eine meiner Ideen, dass ich mir ein Stück Natur in phantastisch vergrößerten Maßen vorstellte. Dermaßen, dass die Menschen gar unter den Blättern der Erdbeeren hätten spazieren gehen können. Auf diese Weise musste ich mich wieder in die Stimmung zurückversetzen, in der alles so groß erschien. Die Verschiebung des Blickwinkels. Der Horizont muss gesenkt oder höher angesetzt werden. So lässt sich alles phantastisch vergrößern, völlig willkürlich, und merkwürdigerweise haben wir in diesem Fall recht, denn alles, was uns umgibt, ist eigentlich groß. Was klein und lächerlich ist, ist der Schein. Jeder Mensch ist ein Wunder der Größe." 90 Dieses Zitat verrät fast alles über die seelische Beschaffenheit und den künstlerischen Habitus Mednyánszkys. Er geht von einer Phantasie, einer malerischen Vision aus, konkretisiert die Thematik in maltechnischen Fragen und gelangt zu den allgemeinsten weltanschaulichen und philosophischen Problemen. Seine künstlerische Kraft, sein Arkanum resultieren aus seiner im Grunde noch immer kindlich phantasierenden und konfabulierenden Attitüde. Die Neigung zur Übertreibung verbindet sich mit erbarmungsloser Selbstkritik. Das bewusste Festhalten an der erlebten Wirklichkeit garantierte ihm, dass er das, was unter seinen europäischen Zeitgenossen nur die größten, die Erfinder des monumentalen, synthetischen malerischen Ausdrucks, die Postimpressionisten, durch Abwendung von den herkömmlichen Schemata zu realisieren vermochten, auch teils innerhalb der Konventionen vollbringen konnte. Die Kunst Mednyánszkys ist in der Tat nur mit dem Schaffen der größten Künstler zu vergleichen. Warum dies sogar in der Region der ehemaligen Monarchie nicht allgemein bekannt ist, lässt sich nur zum Teil durch den Eisernen Vorhang oder den provinziellen Kontext der ungarischen Kunst erklären. Mednyánszky wechselte nicht die Paradigmen, da er an den bildlichen Konventionen, die anderswo schon als überholt galten, noch Möglichkeiten der Weiterentwicklung entdeckte. Er hatte es nicht eilig, Begriffe wie rasche Entwicklung und Wettbewerb waren ihm fremd. Er entfernte aus der romantischen Malerei die Übertreibungen, gab den Momentaufnahmen der Impressionisten einen bleibenden Inhalt, steigerte die Paysage intime zur Monumentalität und machte aus dem Genrebild durch Weglassen der überflüssigen Szenerie ein expressionistisches Drama. Er malte aber auch „reine postimpressionistische" Bilder, die kaum noch an ihre naturalistischen Wurzeln erinnern (Kat. 200). Er war ein virtuoses Genie, ein Künstler, der nicht durch einige große Werke, sondern eher durch die grundlegende Höhe seiner Betrachtungsweise, die Proteus gleichenden Verwandlungen immer aufs neue unser Interesse weckt. Jetzt ist die Zeit für eine Wiederentdeckung Mednyánszkys gekommen. Gelegenheit dazu bietet ein Besuch der im Oktober 2003 eröffneten retrospektiven Ausstellung mit fast 500 Exponaten, die zunächst in der Ungarischen Nationalgalerie in Budapest, dann in der Slowakischen Nationalgalerie in Bratislava und als Auswahl im Herbst 2004 im Oberen Belvedere in Wien zu sehen ist. ANMERKUNGEN 1 Proust, Marcel: A la recherche du temps perdu. III. Le côté de Guermantes. Paris 1920/21. Proust, Marcel: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. III. Die Herzogin von Guermantes. 1930. Deutsch von Anikó Harmath. In: Markója, Csilla: Das eigenartige Leben und die noch eigenartigere Kunst des Barons László Mednyánszky (1852-1919). Enigma, No 24/25, 2000. 366. 2 Deleuze, Gilles: Proust. Budapest 2002. 100. 3 Megyery, Ella: Mednyánszky László báró különös életéről és haláláról beszél legbizalmasabb barátja egy bécsi műteremben [Über das eigenartige Leben und den Tod Baron László Mednyánszkys spricht sein vertrautester Freund in einem Wiener Atelier], Új Magyarság, 15. September 1935. - Wiederveröff. in: Enigma, No 24/25, 2000. 286-288.- Zitat: 287. 4 Siehe im vorliegenden Band die Studie von Jan Abelovsky: László Mednyánszky in der slowakischen Kunstgeschichte. 5 Czóbel Istvánná Mednyánszky, Margit: László - Brouillon (visszaemlékezés). [Rückerinnerung]. Enigma, No 24/25, 2000. 63. 6 Szirmay-Pulszky, Henrietta von: Genie und Irrsinn im ungarischen Geistesleben. München 1935. 125-126. 7 Margit Mednyánszky, die Schwester des Künstlers, wollte unter Berufung auf die Unzurechnungsfähigkeit und den „beschränkten Geisteszustand" Mednyánszkys seinen mit der Firma Wolfner geschlossenen Vertrag als nichtig erklären lassen: „Es ist Tatsache und wahr, dass Geist und künstlerische Verfassung des verstorbenen Baron László Mednyánszky auch in diesen Brieffragmenten deutlich werden - man muss kein Psychiater sein, um bei diesem Menschen, für den die Niederschrift einer einfachen Benachrichtigung schon eine derartige Anstrengung war, dass er, um ein kleineres Thema zu Papier zu bringen, viermal-fünfmal ansetzte, und der so zerstreut war, dass er ein und denselben Brief an ein und demselben Tag mehrmals schrieb, die Fähigkeit in Zweifel zu ziehen und zu leugnen, dass er den unter A. genannten Vertrag in seiner Tragweite und den ihm daraus erwachsenen Verpflichtungen beurteilen und einschätzen konnte." (Berufung von Miri Czóbel gegen die Gerichtsentscheidung in erster Instanz. Prozessakte 210. Budapest Fővárosi Levéltár [Archiv der Hauptstadt Budapest], VII. 2. c. 3. b 513/1920.) - Siehe: „Szenilis jóhiszeműséggel" -Válogatás a Mednyánszky-Wolfner-per iratanyagából [„Mit seniler Gutgläubigkeit" - Auswahl aus den Prozessakten Mednyánszky-Wolfner]. Veröff. von. Csilla Markója. Enigma, No 24/25, 2000. 230. 8 Über diesen unterdrückten und verschwiegenen Streit wird jetzt erstmals offen gesprochen: Im vorliegenden Katalog bedeuten die Ausführungen von Zsófia Kiss-Szemán und Ján Abelovsky zu dem heiklen Thema einen ersten Durchbruch. 9 „Eine zur Gemäßigten Opposition gehörende Gruppe konservativer Großgrundbesitzer beobachtet mit wachsender Abneigung die zunehmende industrielle Entwicklung und die Machtausdehnung der Großbourgeoisie." Zsigmond Justh, der noch Mitte der 1880er Jahre Hauptmitarbeiter der als Sprachrohr der progressiven, modernen bürgerlichen Schriftstellerbestrebungen apostrophierten Zeitschrift A Hét [Die Woche] war, wandte sich alsbald von den Kreisen der in seinen Augen „Philosemitischen" Zeitschrift ab und beabsichtigte die Gründung einer ungarischen illustrierten Revue, bei der er u. a. auf Illustrationen von Mednyánszky rechnete. Vgl. Diószegi, András: Justh Zsigmond (1863-1894). Irodalomtörténeti Közlemények, 64, 1960. 663-664.